Microsoft word - neuersprg.doc

WALTER HALLSTEIN-INSTITUT
FÜR EUROPÄISCHES VERFASSUNGSRECHT HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN WHI – Materials 2/03 RALF KANITZ/PHILIPP STEINBERG (HRSG.)
NEUE RECHTSPRECHUNG DER EUROPÄISCHEN
GERICHTE (EUGH, EUG)
EXAMENSRELEVANTE ENTSCHEIDUNGEN KOMPAKT DARGESTELLT, KOMMENTIERT UND RECHTLICH EINGEORDNET Ralf Kanitz/Philipp Steinberg (Hrsg.), Neue Rechtsprechung der Europäischen Gerichte (EuGH, EuG). Examensrelevante Entscheidungen kompakt, Berlin, April 2003 Kontakt: Walter Hallstein-Institut für europäisches Verfassungsrecht Juristische Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6 D 10099 Berlin Tel.: ++49 (0) 30 2093 3440 Fax: ++49 (0) 30 2093 3449 www.whi-berlin.de Email: [email protected] und [email protected] Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Teilnehmerinnen und Teilnehmer. 3 Entscheidungen und Gutachten . 6 EuGH Finalarte. 6 5.2 EuGH Portugaia . 9 5.3 EuGH Golden Shares I/II/III. 11 5.4 EuGH Österreichischer Gewerkschaftsbund. 14 5.5 EuGH Smits/Peerbooms . 17 5.6 EuGH Vanbraekel . 21 5.7 EuGH Merck. 26 5.8 EuGH Ferring und EuG SIC. 31 5.9 EuGH Concordia Bus Finland Oy Ab . 37 5.10 EuG Jégo-Quéré EuGH Unión de Pequenos Agricultores. 40 5.11 EuGH Lyckeskog. 46 5.12 BVerfG Teilzeitarbeit . 50 5.13 EuGH Grzelczyk . 53 5.14 EuGH d'Hoop. 55 5.15 EuGH Roquette Frères. 59 5.16 Schlussanträge Generalanwalt Jacobs Eugen Schmidberger . 61 5.17 EuGH Carpenter. 65 5.18 EuGH Heininger. 67 5.19 EuGH Gervais Larsy. 71 5.20 LG Berlin. 74 5.21 EuGH Gutachten Protokoll von Cartagena . 79 5.22 EuGH OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH. 84 2 Vorwort Im Wintersemester 2002/2003 haben wir an der Humboldt-Universität zu Berlin das Kolloquium „Neuere Rechtsprechung der Europäischen Gerichte (EuGH, EuG)" angeboten. Die Veranstaltung verstand sich als Ergänzung zur Arbeitsgemeinschaft „Europarecht in Fällen" sowie den verschiedenen Europarechtlichen Seminaren an der Juristischen Fakultät. Behandelt wurden in erster Linie, aber nicht ausschließlich examensrelevante Fälle. Im Mittelpunkt standen Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten. Ziel der Veranstaltung war es, für und mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer das vorliegende Skript zusammen zu stellen, in dem in knapper Form nach einem vorgegebenen Schema a) Entscheidung mit Fundstelle b) Sachverhalt c) Rechtliche(s) Problem(e) d) Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung e) Konsequenzen für Prüfung und Praxis (so ersichtlich) f) Literatur/Leitentscheidungen erörtert werden. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer war aufgefordert, eine Entscheidung unter Hinzuziehung der Schlussanträge der Generalanwälte in dieser Form zu bearbeiten und der Gruppe in maximal 20 Minuten in mündlicher Form vorzustellen. Geeignete Entscheidungen konnten auf Wunsch auch gemeinsam in Klausurform gelöst werden. Anschließend blieb jeweils Raum für Fragen und Diskussion Das vorliegende Skript ist Ergebnis der gemeinsamen Diskussion. Ursprünglich nur für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kolloquiums gedacht, freuen wir uns, dass alle Mitwirkenden zugestimmt haben, es nun auch einem breiteren Kreis zur Verfügung zu stellen. Wir danken den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr Engagement. Die oft auf hohem Niveau geführte Diskussion hat den Herausgebern viel Spaß gemacht. Berlin, im April 2003 Ralf Kanitz Philipp Steinberg Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 3 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ambach, Philipp Becker, Anne Charlotte Cathey Schütz, Christina Diederich, Daniel Felgner, Dietrich Graetz, Andreas Höbert, Marie-Christine Hofmann, Bianca Hossenipour, Pari Hüfken, Nina Ipsen, Nils Kik, Rebecca Kößler, Melanie Krempel, Jörg Lehnardt, Chia Melcher, Philipp Much, Marek S. Müller, Michael Petry, Jan Pörksen, Til Samour, Nahed Schillings, Laura Schlütter, Birgit Schubert, Sebastian Siebert, Annekathrin Suominen, Irené Elena Toschev, Adrian Ulbrich, Jana Witzmann, Jan Die Rechtsprechung von EuGH und EuG sind über die Homepage des Gerichtshofs – www.curia.eu.int – abrufbar. I. Schwerpunkt Grundfreiheiten 1) EuGH, Urt. v. 25.10.2001 – verb. Rs. C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C- 54/98 und C-68/98 bis C-71/98 – Finalarte
(Dienstleistungsfreiheit)
2) EuGH, Urt. v. 24.1.2002 – Rs. C-164/99 – Portugaia 3) EuGH, Urt. v. 4.6.2002 – Rs. C-503/99 – Kommission/Belgien (Golden Shares I), EuGH, Urt. v. 4.6.2002 – Rs. C-483/99 – Kommission/Frankreich
(Golden Shares II) und EuGH, Urt. v. 4.6.2002 – Rs. C-367/98 –
Kommission/Portugiesische Republik (Golden Shares III)
(Kapitalverkehrsfreiheit)
4) EuGH, Urt. v. 30.11.2000 – Rs. C-195/98 – Österreichischer Gewerkschaftsbund
(Freizügigkeit, Art. 39 EGV und Verordnung (EWG) Nr. 1612/68)
5) EuGH, Urt. vom 12.7.2001 – Rs. C-157/99 – Smits/Peerbooms (Grundfreiheiten und Sozialversicherungssysteme)
6) EuGH, Urt. v. 12.7.2001 – Rs. C-368/98 – Vanbraekel (Grundfreiheiten und Sozialversicherungssysteme)
7) EuGH, Urt. vom 23. 4. 2002 – Rs. C-443/99 – Merck (Warenverkehrsfreiheit und Umpacken von Arzneimitteln)
II. Sonstiges Wettbewerbsrecht 8) EuGH, Urt. v. 22.11.2001 – Rs. C-53/00 – Ferring und EuG, Urt. v. 10.5.2000 – Rs. T-46/97 – SIC /Kommission
(Beihilfebegriff)
9) EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – Rs. C-513/99 – Concordia Bus Finland Oy Ab III. Prozessrecht 10) EuG, Urt. v. 3.5.2002 – Rs. T-177/01 – Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission und EuGH, Urt. v. 25.7.2002 – Rs. C-50/00 – Unión de Pequeños
Agricultores
(Prozessrecht, Art. 230 EGV)
11) EuGH, Urt. V. 4. 6. 2002 – Rs. C-99/00 – Kenny Roland Lyckeskog (Prozessrecht, Art. 234 EGV)
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 12) BVerfG, Beschluss vom 9. 1. 2001 – 1 BvR 1036/99 – Teilzeitarbeit (Prozessrecht, Art. 234 EGV)
IV. Grundrechte und Grundlagen 13) EuGH, Urt. v. 20.9.2001 – Rs. C-184/99 – Rudy Grzelczyk 14) EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – Rs. C-224/98 – d'Hoop 15) EuGH, Urt. v. 22.10.2001 – Rs. C-94/00 – Roquette Frères SA 16) EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Francis G. Jacobs v. 11.7.2002 – Rs. C-112/00 – Firma Eugen Schmidberger Internationale Transporte und
Planzüge
(Grundrechte)
17) EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – Rs. C-60/00 – Carpenter 18) EuGH, Urt. v. 13.12.2001 – Rs. C-481/99 – Heininger 19) LG Berlin, Urt. v. 9.4.2001 – 23.0.650/00 20) EuGH, Urt v. 28. 6. 2001– Rs. C-118/00 – Gervais Larsy V. Außenbeziehungen 21) EuGH, Gutachten v. 6. 12. 2001 – Gutachten 2/00 – Protokoll von Cartagena
(Außenbeziehungen)
22) EuGH, Urt. v. 2. 5. 2001 – Rs. C-307/99 – OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH /Hauptzollamt Hamburg-St. Annen
(Außenbeziehungen/GATT)
EuGH Finalarte 5 Entscheidungen und Gutachten 5.1 EuGH Finalarte Daniel Diederich

5.1.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 25.10.2001 – verb. Rs. C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und
C-68/98 bis C-71/98 – Finalarte, Slg. 2001 I-7831 (EuZW 2001, 759 ff.)
5.1.2 Sachverhalt
Nach dem deutschen Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) sind bestimmte
Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmern auch auf solche Arbeitnehmer
anzuwenden, die bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen angestellt
sind. So sind ausländische Bauunternehmen etwa verpflichtet, Beiträge in die
Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft einzuzahlen und ihren
Angestellten Urlaubsansprüche zuzubilligen, die über die in ihrem Heimatland
gewährten Ansprüche hinausgehen. Hierfür unterliegen sie
Auskunftsverpflichtungen, die über diejenigen von in Deutschland ansässigen
Unternehmen hinausgehen. Ferner gilt nach dem AEntG für im Ausland ansässige
Unternehmen ein abweichender Betriebsbegriff. Im Falle von sog. Mischbetrieben
(d. h. Betrieben, die nur teilweise baugewerbliche Tätigkeiten ausführen) kann dieser
abweichende Betriebsbegriff zu unterschiedlichen Konsequenzen bei der
Anwendbarkeit von Sozialkassentarifverträgen führen.
5.1.3 Rechtliche
Probleme
Das vorlegende Gericht möchte in seiner ersten Frage wissen, ob Art. 49 und 50 EGV (damals Art. 59 und 60) grundsätzlich einer Regelung entgegenstehen, nach der ein Mitgliedstaat in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistungsunternehmen nationalen Bestimmungen unterwirft, durch die den Arbeitnehmern dieser Unternehmen Urlaubsansprüche gewährt werden. In der zweiten Vorlagefrage geht es darum, ob spezifische Punkte dieser Regelung (bzgl. der Urlaubslänge, dem Urlaubsgeld/-entgelt sowie gegenüber den Sozialkassen bestehende Auskunftspflichten) diesen Normen des Gemeinschaftsrechts widersprechen. Die dritte Vorlagefrage bezieht sich auf die Vereinbarkeit des abweichenden Betriebsbegriffes mit den Art. 49 und 50 EGV. In der bisherigen Rechtsprechung wurde regelmäßig die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften bzgl. des Mindestlohns mit dem Gemeinschaftsrecht bestätigt. In der Sache Portugesa (EuGH, Urt. v. 27.3.1990 – Rs. C-113/89 – Portuguesa, Slg. 1990 I-1417 (EuZW 90, 256) Rn. 18) wurde (obiter dictum) erstmals statt von Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) „Mindestlöhnen" von „Vorschriften der Tarifverträge" gesprochen (in ähnliche Richtung geht auch EuGH, Urteil v. 15.3.2001 – Rs. C-165/98 – Mazzoleni, Slg. 2001, I-2189). In Finalarte geht es jedoch um tarifvertragliche Regelungen, die eindeutig über bloße Mindestregelungen für ausländische Dienstleistungserbringer hinausgehen, mithin um die Frage, ob ausländische Unternehmen durch nationale Regelungen (faktisch oder sogar rechtlich) auch zur Zahlung von Tariflöhnen (also nicht nur zur Zahlung von Mindestlöhnen) verpflichtet werden können. Im Fall Vander Elst (EuGH, Urt. v. 9.8.94 – Rs. 43/93 – Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, I-3826) entschied der EuGH, ein Mitgliedstaat sei berechtigt, nationale Vorschriften auch auf ausländische Unternehmen anzuwenden, um durch Nichteinhaltung nationaler Vorschriften entstehenden Gefährdungen des Arbeitnehmerschutzes und des Wettbewerbs entgegenzutreten. Auch in Albany (EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – Rs. 67/96 – Albany, Slg. 1999, I-5751) wies das Gericht auf den Vorrang von Tarifverträgen vor europäischem Wettbewerbsrecht hin. In dem Urt. v. 4.4.1974 – Rs. C-167/73 – Kommission gegen Frankreich – Slg. 1974, 359, entschied der Gerichtshof (allerdings in bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit), das Diskriminierungsverbot habe auch den Zweck, Inländer vor den Nachteilen zu bewahren, die sich daraus ergeben können, dass Angehörige anderer Mitgliedstaaten ungünstigere Arbeitsbedingungen oder Entlohnung anbieten oder annehmen, als vom nationalen Recht vorgesehen. Im Urteil Arblade (EuGH, Urt. v. 23.11.1999 – C-369/96 und C-376/96 – Arblade, Slg. 1999, I-8453) bestätigte der EuGH seine Rechtsprechung, nach der der Schutz von Arbeitnehmern zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört. Er stellte in jenem Urteil jedoch auch fest, dass im Falle von Mischbetrieben ausländische Dienstleistungsunternehmen nicht gleichgestellt seien, was eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EGV darstelle. Der Generalanwalt Mischo führt zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit aus, dass wirtschaftliche Ziele (wie das im Gesetzesentwurf des AEntG genannte Ziel des Schutzes vor ausländischer Konkurrenz) natürlich nicht in Frage kämen, es bei der Rechtfertigung jedoch auf eine objektive Betrachtung des Gesetzesinhalts ankäme. In diesem Zusammenhang geht er auf die Vorteile ein, die ausländischen Arbeitnehmern im Gegensatz zu den Bedingungen ihres Heimatlandes entstehen. Der Wettbewerbsbegriff sei, so der Generalanwalt, nicht so zu verstehen, dass sich ausländische Unternehmen durch Nichteinhaltung der nationalen Vorschriften einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten. Sozialpolitik sei Sache der Mitgliedstaaten, die somit über das Schutzniveau für Arbeitnehmer zu bestimmen hätten, und es sei allgemeines Prinzip, dass dies auch auf ausländische Dienstleistungserbringer Anwendung fände. Das (die Beschränkung rechtfertigende) Allgemeininteresse an sozialem Schutz von Arbeitnehmern könne nicht durch Vorschriften des Heimatlandes durchgesetzt werden. Diese Vorschriften müssten allerdings im Hinblick auf die Belastungen berücksichtigt werden, denen Unternehmen ausgesetzt seien, die Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbrächten. EuGH Finalarte
5.1.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Der Gerichtshof folgt im Wesentlichen der Argumentation des Generalanwalts. Die
Dienstleistungsfreiheit sei tatsächlich durch die Vorschriften des AEntG beschränkt.
Diese Beschränkung sei jedoch grundsätzlich zu rechtfertigen, sofern die
ausländischen Arbeitnehmer in ihrem Heimatland keinen vergleichbaren Schutz
genießen und ihnen durch die deutschen Vorschriften ein tatsächlicher Vorteil
verschafft wird. Hierbei seien diese Vorteile für Arbeitnehmer gegen die den
Dienstleistungsunternehmen entstehenden administrativen und wirtschaftlichen
Belastungen abzuwägen.
In Bezug auf die spezifischen Regelungen des AEntG sind diejenigen Vorschriften
nach Ansicht des Gerichtshofes mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, bei denen
objektive Unterschiede die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die unterschiedlich
angewandten Betriebsbegriffe verstoßen hingegen nach Ansicht des EuGH gegen
Art. 49 und 50 EGV; für die Diskriminierung in diesem Punkt sei kein
Rechtfertigungsgrund vorgetragen worden.Der EuGH grenzt also die
Dienstleistungsfreiheit insofern von der Warenverkehrsfreiheit ab, als der ersteren
eine soziale Komponente innewohnt, so dass Dienstleistungsunternehmen nicht in
anderen Mitgliedstaaten zu den Wettbewerbsbedingungen ihres Heimatlandes tätig
werden können. Jedoch dürfe die Dienstleistungsfreiheit auch nicht von den für die
Niederlassungsfreiheit geltenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden, so dass
ihr jede praktische Wirksamkeit genommen würde.

5.1.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Mit dieser Entscheidung stellt der Gerichtshof einmal mehr klar, dass der soziale
Schutz der Arbeitnehmer eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ermöglicht.
Darüber hinaus stellt er aber auch fest, dass eine unterschiedliche Behandlung
inländischer und ausländischer Unternehmen unter Umständen möglich ist, ohne
dass der Gerichtshof auf eine Diskriminierung erkennt, soweit „objektive Unterschiede,
die zwischen diesen Unternehmen und in Deutschland ansässigen Unternehmen bestehen
" dies als
notwendig erscheinen lassen. Damit erteilt der Gerichtshof aber auch einem
generellen Vorrang der Dienstleistungsfreiheit vor anderen Verfassungszielen eine
Absage. Die Entscheidung kann somit als Schritt in Richtung auf die Entwicklung
einer europäischen Wirtschafts- und Sozialverfassung angesehen werden.
5.1.6 Literatur/Leitentscheidungen
Bayreuther, Anmerkung zum Urteil, EuZW 2001, 764 ff.; von Dannwitz, Die
Rechtsprechung des EuGH zum Entsenderecht, EuZW 2002, 237 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.2 EuGH Portugaia Sebastian Schubert
5.2.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 24.1.2002 - Rs. C-164/99 – Portugaia, Slg. 2002 I-787 (EuZW 2002,
245 ff.)
5.2.2 Sachverhalt
Das deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz von 1996 überträgt eine
Mindestlohngewähr in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auch auf ausländische
Betriebe. Das portugiesische Bauunternehmen Portugaia schickt seine Arbeitnehmer
nach Deutschland. Das zuständige Arbeitsamt verhängt einen Bußgeldbescheid
wegen Unterschreitung des Mindestlohns. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit?
5.2.3 Rechtliche
Probleme
Es ist das erklärte Ziel des Arbeitnehmerentsendegesetzes, die nationale Bauwirtschaft zu schützen; es geht also um Protektionismus. Das Gesetz und der Bußgeldbescheid sehen daher auf den ersten Blick wie ein klarer Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit aus, denn in der Rechtfertigung ist ja der Bezug auf wirtschaftliche Gründe verwehrt. Der EuGH sagt jedoch, dass die Begründung des Gesetzes zwar Anhaltspunkte für das Ziel der Regelung enthalte, nicht aber in jedem Fall ausschlaggebend sei (stattdessen: objektive Betrachtung). Inländer können im Gegensatz zu EG-Ausländern den festgeschriebenen Mindestlohn im allgemeinverbindlichen Tarifvertrag theoretisch unterschreiten – und zwar durch einen Firmentarifvertrag, der zumindest de facto (nach h. M. auch de jure) den allgemeinen Tarifvertrag verdrängt. Hier nimmt der EuGH eine nicht gerechtfertigte Beschränkung an. Allerdings sah selbst der Firmentarifvertrag bei der Holzmann-Sanierung wohl keine Unterschreitung des allgemeintarifvertraglichen Mindestlohnes vor. Auch haben die Gewerkschaften nur das Interesse, Sozialdumping zu verhindern und wollen sichergestellt wissen, dass auch die ausländische Konkurrenz sich an die nationalen Mindestlohnstandards hält. Sie haben dagegen kein Interesse, den Lohnstandard des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags durch Spezialregelungen zu unterschreiten. Rechtlich ist dieses Problem aber noch nicht ausgegoren. Das Problem: Wäre es ausländischen Bauunternehmern gestattet, sich ebenfalls durch Firmentarifverträge zu entziehen, so würde nach den Grundsätzen des BAG zur Tarifeinheit ihr deutscher Firmentarifvertrag von ihrem heimischen Tarifvertrag verdrängt. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung hat der EuGH hier nicht angesprochen. Ein möglicher Ausweg könnte darin bestehen, überhaupt keine Firmentarifverträge mit Unterschreitungsmöglichkeit mehr zuzulassen (aber innerstaatlich: Problem mit Art. 9 Abs. 3 GG). EuGH Portugaia
5.2.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Methodik: Der EuGH sieht im Mindestlohnerfordernis eine Beschränkung (inzident: keine formale Diskriminierung) und rechtfertigt über zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Den Anknüpfungspunkt bildet der soziale Arbeitnehmerschutz. Der Mindestlohn sei auch grundsätzlich verhältnismäßig, weil er einen tatsächlicher Vorteil für die entsandten Arbeitnehmer bedeute. Das Gericht folgt Generalanwalt Mischo und verweist die konkrete Falllösung an das vorlegende Gericht zurück. Eine nicht gerechtfertigte Beschränkung sei dagegen die Möglichkeit nur für deutsche Bauunternehmer, den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag mit seinen Mindestlohnregelungen zu unterschreiten. Schlussfolgerung: Nationale Mindestlohnregelungen können als Maßnahmen des sozialen Arbeitnehmerschutzes auf EG-ausländische Unternehmen angewendet werden, sofern es sich um tatsächliche Vorteile für die entsandten Arbeitnehmer handelt (nicht für die einheimischen Arbeitnehmer und die nationale Baubranche).
5.2.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Der EuGH bekräftigt, dass es der EGV keinesfalls zulasse, dass ein Mitgliedstaat
durch regulierende Maßnahmen seine Bauwirtschaft gegen den steigenden
Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt schützt. Das aber ist genau die erklärte Absicht
des deutschen Gesetzes (der Schutz ausländischer Arbeitnehmer wird nicht mit
einem Satz angesprochen). Andererseits stellt der EuGH dann letztlich nur auf einen
zusätzlichen Vorteil des ausländischen Arbeitnehmers gegenüber seinem
Herkunftsstaat ab. Er überlässt es damit fast komplett dem Mitgliedstaat, das
Schutzniveau für die ausländischen Arbeitnehmer festzulegen und damit
Billiganbietern die nationalen Maßnahmen entgegenzuhalten. Das Urteil erlaubt keine
Rückschlüsse, wo hier die Grenze zu ziehen ist. Auch vor dem Hintergrund der
Finalarte-Entscheidung stellt sich die Frage, ob auch alle sonstigen
Arbeitsbedingungen und Tarifvereinbarungen, die einen Vorteil des ausländischen
Arbeitnehmers gegenüber seinem Herkunftsstaat darstellen, hier von den
Mitgliedstaaten ins Feld geführt werden können. Im Ergebnis könnten dann die
ausländischen Bauunternehmen ihre Vorteile, die eben vor allem im Lohnbereich
liegen, nicht mehr ausspielen.
5.2.6 Literatur/Leitentscheidungen
Bayreuther, Anmerkung zum Urteil Finalarte, EuZW 2001, 764 ff.; von Danwitz, Die
Rechtsprechung des EuGH zum Entsenderecht, EuZW 2002, 237 ff.; Kling, Zur
primärrechtlichen Beurteilung des § 3 Tariftreuegesetz des Bundes i. d. F. des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 12.12.2001, EuZW 2002, 229 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.3 EuGH Golden Shares I/II/III Rebecca Kik/Jörg Krempel/Michael Müller
5.3.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urteile vom 4.6.2002 – Rs. C- 503/99, C- 483/99 und C- 367/98 – Golden
Shares I, II und III, Slg. 2002 I-4809/4781/4731 (EuZW 2002, 429 ff.)
5.3.2 Sachverhalt
Definition: Golden Shares sind sog. Sonderaktien, deren Ziel es ist, in den
Wirtschaftsbereichen, die ein Staat als wirtschaftlich oder politisch besonders wichtig
empfindet, den Einfluss auf bestimmte Entscheidungen und Entwicklungen der
privatisierten Unternehmen zu wahren.
Golden Shares I
Die Kommission hat gemäß Art 226 EGV Klage auf Feststellung erhoben, dass
Belgien mit Erlass von zwei Verordnungen gegen die Art 43 und 56 EGV verstoßen
hat. Die angegriffenen Verordnungen errichten je eine dem Staat zustehende
Sonderaktie der Societe Nationale de Transport par Canalisations und des
Unternehmens Distrigaz. Diese ermöglichen es dem Energieminister jede
Übertragung technischer Einrichtungen und gewisse Verwaltungsentscheidungen des
Unternehmens nach Anmeldung derselben zu verbieten, die die Aktiva der
Gesellschaft treffen und die Versorgung Belgiens mit Erdgas gefährden könnten.
Zusätzlich entsendet die Regierung zwei Mitglieder in den Verwaltungsrat des
Unternehmens. Bei der Entscheidung ist die Regierung an strenge Fristen gebunden.
Ihr Vorgehen ist genau geregelt und ihre Entscheidung muss begründet werden und
es besteht gegen die Entscheidung eine Beschwerdemöglichkeit.
Golden Shares II
Das Dekret zur Schaffung von der vom Staat gehaltenen Sonderaktie der Societe
Nacional Elf-Aquitaine sieht vor, dass es der vorherigen Genehmigung des
Wirtschaftsministers bedarf, sobald ein Anteil oder Stimmrecht von mehr als einem
Zehntel, einem Fünftel oder einem Drittel des Gesellschaftskapitals erworben wird.
Weiterhin enthält das Dekret die Möglichkeit eines Widerspruchs zu Entscheidungen
über die Abtretung von Aktiva oder deren Verwendung als Sicherheit. Diese
Regelungen könnten gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV verstoßen.
Golden Shares III
Portugal hat ein Gesetz erlassen, das Reprivatisierungen regelt. Es formuliert
wirtschaftspolitische Ziele und sieht Beschränkungen beim Erwerb von Anteilen
EuGH Golden Shares I/II/III durch ausländische Unternehmen zu. Aufgrund dieses Gesetzes werden für konkrete Privatisierungen decretos-leis erlassen. Manche von Ihnen sehen eine Begrenzung für Ausländer vor. Portugal verpflichtet sich nach einiger Zeit politisch gegenüber der Kommission keine decretos-leis mit Beschränkungen für Ausländer mehr zu erlassen. Das streitige decreto-lei (380/93) sieht jedoch gleichbehandelnd vor, für einen Erwerb von mehr als 10% Anteilen eine Ministererlaubnis einzuholen und könnte gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.
5.3.3 Rechtliche
Probleme
Der EuGH beschäftigt sich mit der Frage, welche Gründe eine Beschränkung von
Art 56 EGV rechtfertigen können und welche Methoden von Einflussnahe dabei
verhältnismäßig sind. Dabei ist entscheidend, ob die Einflussmöglichkeiten auf
objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien, die den betroffenen Unternehmen
im Voraus bekannt sind und Rechtsschutz bieten, beruhen. Weiterhin ist fraglich,
woher der EuGH diese Kriterien nimmt und ob dieser Maßstab angemessen ist.
Zusätzlich gibt der EuGH indirekt Aufschluss darüber, in welchem Verhältnis die
Kapitalverkehrsfreiheit zu den anderen Grundfreiheiten steht.
Die Beklagten wollen eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit über Art. 295
EGV rechtfertigen. Somit muss der Charakter von Art 295 EGV erörtert werden.
Der Generalanwalt behauptet, es müsse erst recht zulässig sein, sich bei
Privatisierungen Einflussmöglichkeiten zu sichern, wenn auch eine Verstaatlichung
von Unternehmen nach dem EGV zulässig sei.
5.3.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidungen
Als Rechtfertigung für eine staatliche Einflussnahme auf privatisierte Unternehmen
kommen die in Art. 58 EGV genannten Gründe und die ungeschriebenen
zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Betracht. Wirtschaftspolitische
Interessen werden nicht zugelassen (vgl. Golden Shares III). Weiterhin muss die
Regelung verhältnismäßig sein und auf objektiven und nicht diskriminierenden
Kriterien basieren, die im Voraus bekannt sind und Rechtschutz gewähren. Eine
Widerspruchsregelung, die nur unter bestimmten Vorraussetzungen Anwendung
findet, zeitlich begrenzt ist, und Rechtschutz bietet, erfüllt diese Anforderungen(vgl.
Golden Shares I). Ein allgemeiner Genehmigungsvorbehalt ohne Bezeichnung der
objektiven Kriterien ist deshalb unzulässig (vgl. Golden Shares II und III).
5.3.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Die sog. Golden Shares stellt einen Eingriff in Form einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit Art. 56 EGV dar. Der Bestand der nationalen Eigentumsordnung (Art. 295 EGV) kann nicht als Rechtfertigung herangezogen werden. Somit kann ein solcher Eingriff nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 58 und die ungeschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)

5.3.6 Literatur/Leitentscheidungen
Ruge, Goldene Aktien und EG-Recht, EuZW 2002, 421ff.; Krause, Von „goldenen
Aktien", dem VW-Gesetz und der Übernahmerichtlinie, NJW 2002, 2747 ff.
EuGH Österreichischer Gewerkschaftsbund 5.4 EuGH Österreichischer Gewerkschaftsbund Melanie Kößler und Marek S. Much Freizügigkeit, Art. 39
EGV und Verordnung
(EWG) Nr. 1612/68

5.4.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 30.11.2000 – Rs. C-195/98 – Österreichischer Gewerkschaftsbund
gegen Republik Österreich, Slg. 2000 I-10497 (EuZW 2001, 413 ff.)
5.4.2 Sachverhalt
Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat gemäß § 54 Abs. 2 Arbeits- und
Sozialgerichtsgesetz (ASGG) vor dem Obersten Gerichtshof gegen die Republik
Österreich Klage auf Feststellung gleicher Anrechnung aller Beschäftigungszeiten,
die in anderen EG-Mitgliedstaaten abgeleistet wurden. Híntergrund ist, dass die
geltende Regelung eine mögliche Diskriminierung im Sinne des EG-Rechts darstellt:
Denn § 26 Abs. 2 Vertragsbedienstetengesetz (VBG) regelt, dass die für die
Berechnung des Gehalts entsprechenden maßgeblichen Beschäftigungszeiten bei
österreichischen Behörden und Schulen sowie mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten
Privatschulen automatisch voll angerechnet werden. Dagegen muss hinsichtlich der
Beschäftigungszeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat abgeleistet wurden, für die
vollständige Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten ein öffentliches Interesse
vorhanden sein sowie die Zustimmung des Bundesministers für Finanzen vorliegen.
Für die Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat geleisteten Tätigkeiten
müssen also besondere Anforderungen erfüllt sein.
5.4.3 Rechtliche
Probleme
Problematisch ist, dass die Anforderungen an die in anderen Mitgliedstaaten
zurückgelegten Beschäftigungszeiten strenger sind als die, die in der Republik
Österreich zurückgelegt wurden. § 26 Abs. 2 VBG könnte insoweit gegen Art. 39
Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der VO Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer verstoßen.
5.4.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
- Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin stellt der EuGH fest, dass Lehrer
grundsätzlich nicht von der Bereichsausnahme des Art. 39 Abs. 4 EGV erfasst sind. Damit bestätigt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – Rs. 66/85 – Lawrie-Blum, Slg, 1986 2121 Rn. 28; EuGH, Urt. v. 27.11.1991 – Rs. C-4/91 – Bleis, Slg, 1991 I-1-5627 Rn.7; EuGH, Urt. v. 2.7.1996 – Rs. C-473/93 – Kommission / Luxemburg, Slg, 1996 I-3207 Rn. 33) zur restriktiven Auslegung des Begriffs der öffentlichen Verwaltung. - Im Rahmen des Verstoßes gegen Art. 39 Abs. 2 EGV bringt der EuGH vor, dass diese Vorschrift nicht nur unmittelbare Diskriminierung, sondern auch jegliche Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) mittelbare Diskriminierung verbietet (EuGH, Urt. v. 23.2.1994 – Rs. C-419/92 – Scholz, Slg. 1994 I-505 Rn. 7; EuGH, Urt. v. 23.5.1996 – Rs. C-237/94 –O'Flynn, Slg.1996 I-617 Rn. 17). Sie liegt vor, wenn statt an die Staatsangehörigkeit, wie dies bei der unmittelbaren Diskriminierung der Fall ist, an ein neutrales Kriterium angeknüpft wird, im Ergebnis aber eher Wanderarbeitnehmer benachteiligt werden (EuGH, Urt. v. 23.5.1996 – Rs. C-237/94 – O'Flynn, Slg. 1996 I-617 Rn. 19 f.). Differenzierungskriterium des § 26 Abs. 2 VBG ist allein der Ort, an dem die Beschäftigung ausgeübt wurde, also ein neutrales Kriterium. Indem aber manche Beschäftigungen in österreichischen Einrichtungen hinsichtlich ihrer Anrechnungszeiten weniger strengen Anforderungen unterliegen als solche in einem anderen Mitgliedstaat (vgl. das Genehmigungserfordernis), werden daher tendenziell eher Wanderarbeitnehmer benachteiligt, so dass ein Verstoß aufgrund mittelbarer Diskriminierung vorliegt. - Über das Verbot jeglicher unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung hinaus leitet der EuGH spätestens seit dem Bosman-Urteil (EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – Rs. C-415/93 – Bosman, Slg. 1995 I-4921 Rn. 94 ff.) aus Art. 39 Abs. 2 EGV ein unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers geltendes Beschränkungsverbot für Maßnahmen oder Bestimmungen her, die einen Unionsbürger daran hindern oder davon abhalten könnten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Damit führt der EuGH seinen schon im Gebhard-Urteil (EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995 I-4165/4197 Rn. 37) angedeuteten einheitlichen Prüfungsmaßstab für alle Grundfreiheiten fort. Allerdings kommt laut EuGH eine solche Beeinträchtigung nur dann in Betracht, wenn durch unterschiedslos geltende Maßnahmen der Zugang der Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt beeinflusst wird.1 In § 26 Abs. 2 VBG geht es nur um die Festsetzung des Dienstalters zur Berechnung der Entlohnung, die schon eine Einstellung voraussetzt, so dass der Zugang zum Arbeitsmarkt durch § 26 Abs. 2 VBG gerade nicht eingeschränkt wird. - Gegen das Vorbringen der österreichischen Regierung, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, wendet der EuGH ein, dass der ordre-public-Vorbehalt des Art. 39 Abs. 3 EGV sich ausschließlich auf diesen Absatz beziehe.2 Für die mittelbaren Beeinträchtigungen gelte hingegen der durch die Rechtsprechung des 1 Hierin kann man eine Parallele zur Warenverkehrsfreiheit sehen, wo der durch die Dassonville- Formel erweiterte Anwendungsbereich durch die Keck-Rspr. wieder durch die Beschränkung auf lediglich produktbezogene Maßnahmen eingegrenzt wurde. Diese Beschränkung auf den Marktzugang gilt auch in der Dienst- und Niederlassungsfreiheit. In diesem Sinne auch die Tendenz der EuGH-Rspr. (vgl. dazu: Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Art. 39 EG Rn.167 ff., wobei der Umfang bzw. die Reichweite des Beschränkungsverbots in der Literatur/Leitentscheidungen noch sehr umstritten ist!). Für die Annahme eines Beschränkungsverbots unter Begrenzung auf den Zugang auch Brechmann in: Calliess/Ruffert, Art. 39 EG Rn. 48 und 50. 2 Brechmann in: Calliess/Ruffert, Art. 39 EG Rn.89; demgegenüber wird in der Literatur/Leitentscheidungen z.T. (Randelzhofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf, Art. 39 EG Rn.209) der ordre-public-Vorbehalt wegen der Parallelität zur Dienst- und Niederlassungsfreiheit auch auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgedehnt, wobei der Rechtfertigungsgrund des Art. 38 Abs.3 wie bei Art.46 sehr eng auszulegen sei und daher grds. nur ausländerrechtliche Sondervorschriften zu treffen EuGH Österreichischer Gewerkschaftsbund EuGH etablierte ungeschriebene Rechtfertigungsgrund der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die wiederum einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet und erforderlich sein müssen. Die österreichische Republik möchte mit dieser Regelung einerseits die Treue der Arbeitnehmer honorieren, andererseits die größtmögliche Mobilität innerhalb einer Gruppe der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst gewährleisten. Durch die Vielzahl der in Betracht kommenden Arbeitgeber kann indes nur die Treue honoriert oder aber die Mobilität gewährleistet werden, aber nicht beides gleichzeitig. Abschließend stellt der EuGH fest, dass es nicht erforderlich ist, die Wanderarbeitnehmer zu diskriminieren, um die Mobilität innerhalb der österreichischen Verwaltung zu gewährleisten.
5.4.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
- Bemerkenswert ist, dass der EuGH auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses rekurriert und nicht auf die in Art. 39 Abs. 3 EGV genannte Schranke der öffentlichen Ordnung. Dies wirft erneut die Frage auf, ob und inwieweit der EUGH an der Differenzierung zwischen unterschiedlichen und unterschiedslosen Maßnahmen festhält. - Für die Prüfung relevant ist, dass der EuGH in diesem Urteil als Prüfungsmaßstab sowohl die Rechte aus Art. 7 Abs. 1 und 4 der VO Nr. 1612/68 als auch aus Art. 39 Abs. 2 EGV heranzieht. Dies ist hier möglich, da die Rechte aus der VO Nr. 1612/68 mit denen aus Art. 39 deckungsgleich sind, also das Primärrecht nicht einschränken. Ist dagegen eine VO spezieller als die primärrechtlichen Vorgaben, ist eine Verletzung in der Regel nur am Maßstab der VO zu prüfen.
5.4.6 Literatur/Leitentscheidungen
Calliess/Ruffert, Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zum EU-Vertrag und EG
–Vertrag, 2002; Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Stand Februar
2000.; Streinz, Europarecht, 5. Auflage, 2001, Rn. 745-753.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.5 EuGH Smits/Peerbooms Til Pörksen Grundfreiheiten und

5.5.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 12. Juli 2001 – Rechtssache C-157/99 – Smits/Peerbooms, Slg. 2001
I-5473 (EuZW 2001, 464 ff.)
5.5.2 Sachverhalt
Im vorliegenden Fall hat ein niederländisches Gericht gemäß Art. 234 EGV zwei
Fragen hinsichtlich der Auslegung der Art. 49, 50 EGV zur Vorabentscheidung
vorgelegt, um zwei bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten entscheiden zu können.
Der Sachverhalt Smits betraf die Erstattung von Kosten für eine spezielle
Parkinsonbehandlung in Kassel. Eine genau solche Behandlung wurde zwar in den
Niederlanden nicht angeboten, allerdings gab es nach dem Gutachten eines
Sachverständigen keine klinischen oder medizinischen Beweise dafür, dass die in
Deutschland angewandte Behandlung angebrachter gewesen wäre, so dass es an einer
medizinischen Indikation für die Behandlung außerhalb der Niederlande fehlte. In
der Rechtssache Peerbooms ging es um die Kostenübernahme für die Komatherapie,
die der Versicherte nach einem in den Niederlanden erlittenen Verkehrsunfall in
Österreich durchlaufen hatte. In den Niederlanden ist eine solche Therapie nur auf
Versuchsbasis angewandt worden und teilnehmende Patienten durften nicht älter als
25 Jahre sein, so dass für Herr Peerbooms die Behandlung in den Niederlanden
ausgeschlossen war.
Die nationale Regelung
Das niederländische Krankenversicherungssystem vermittelt den Versicherten keinen
Anspruch auf Erstattung der ihnen entstandenen Kosten, sondern lediglich
kostenlose Fürsorge. Die Versicherungsträger wiederum schließen Verträge mit den
Leistungsanbietern und zahlen nicht aufgrund erbrachter Leistungen, sondern nach
einer festgelegten Pauschale. Leistungen von solchen Leistungsanbietern, die nicht
Vertragspartner ihrer Versicherung sind, werden daher grundsätzlich nicht ersetzt,
sofern nicht eine vorherige Genehmigung erteilt worden ist, welche nur dann erteilt
wird, wenn die Behandlung als in niederländischen Kreisen üblich anzusehen und in
Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten notwendig ist.
Vorlagefragen
Der EuGH hat die vom niederländischen Gericht gestellten Fragen als eine
gemeinsam zu behandelnde so gefasst, dass das Gericht wissen wolle, ob die Art. 49,
50 EGV so auszulegen sind, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die die
Übernahme von Kosten für die Versorgung in einer Krankenanstalt in einem
anderen Mitgliedsstaat von einer vorherigen Genehmigungserteilung seitens der
Krankasse abhängig macht und auch nur dann, wenn zum einen die Behandlung als
in ärztlichen Kreisen üblich betrachtet werden kann und zum anderen die
Behandlung in Hinblick auf den Gesundheitszustand des Versicherten notwendig ist,
EuGH Smits/Peerbooms
also keine rechtzeitige angemessene Versorgung durch einen Leistungserbringer im
Mietgliedstaat, welchen der Versicherte bewohnt, erbracht werden kann, mit dem
eine vertragliche Vereinbarung besteht.
5.5.3 Rechtliche
Probleme
Problem des Falles ist einerseits der Anwendungsbereich der Art. 49, 50 EGV. So
stellte sich im Anschluss an die Urteile vom 20. April 1998 – Rs. C-158/96 – Kohll,
Slg. 1998, I-1931 und vom 28. April 1998 – Rs. C-120/95 – Decker, Slg. 1998 I-
1831, die Frage, inwiefern diese Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit auch auf
die medizinische stationäre Versorgung anwendbar sei. Daneben war fraglich, ob sich
der Anwendungsbereich in Hinblick auf das Erfordernis der Entgeltlichkeit auch auf
solche Krankenkassensysteme erstreckt, die die medizinische Versorgung der
Versicherten in Form von Sachleistungen gewährleisten.
Zudem hätte sich die Frage des Verhältnisses von Primär- und Sekundärrecht, also
des Verhältnisses der Richtlinie 1408/71 zur Dienstleistungsfreiheit des EGV, stellen
können, auf die der EuGH aber im Rahmen des Urteils nicht eingegangen ist.
Andererseits war fraglich, welche Voraussetzungen an die Rechtfertigung von
mittelbaren Diskriminierungen zu stellen sind.

5.5.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Der EuGH stellte in dieser Entscheidung zunächst einmal fest, dass die
Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten zur Ausgestaltung der nationalen Systeme der
sozialen Sicherheit vom Gemeinschaftsrecht zwar unberührt bleibe, aber die
Ausübung dieser Befugnis dem Gemeinschaftsrecht nicht widersprechen dürfe.
Fraglich war dann, ob hier überhaupt der Anwendungsbereich der
Dienstleitungsfreiheit eröffnet sei. So vertrat der Generalanwalt Colomer die
Auffassung, dass aufgrund der Tatsache, dass das von den Niederlanden gewählte
Krankenversicherungssystem nicht die Möglichkeit enthalte, den Versicherten die
Kosten zu ersetzen, die Leistung an den Versicherten unentgeltlich erfolge. Von den
Krankenkassen erhielten die Leistungserbringer einen Pauschalbetrag, der jedoch die
tatsächlichen Kosten nicht widerspiegele. Daher fehle es an der Entgeltlichkeit im
Sinne des Art. 50 EGV. Der EuGH folgte diesem nicht. Art. 50 EGV verlange nicht,
dass die Dienstleistung von demjenigen bezahlt werde, dem sie zugute komme.
Wesensmerkmal des Entgeltes sei, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die
betreffenden Leistungen darstelle. Dass es sich im vorliegenden Fall um eine
Pauschalzahlung handelt, ändere nichts daran, dass die Zahlungen der Krankassen
letztlich die wirtschaftliche Gegenleistung für die Leistungen des Krankenhauses
darstellten und daher Entgeltcharakter aufwiesen.
Hinsichtlich eines Eingriffs lässt der EuGH dahinstehen, ob es sich um eine
unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft handelt, verweist aber
darauf, dass vertragliche Vereinbarung faktisch vor allem mit niederländischen
Leistungsanbietern getroffen werden und daher die Versicherten davon abgeschreckt
bzw. daran gehindert würden, sich an Leistungsanbieter in anderen Mitgliedsstaaten
zu wenden. Daher stelle das Erfordernis einer vorherigen Genehmigungserteilung
eine Behinderung des freien Dienstleitungsverkehrs dar.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
Anschließend untersucht der EuGH, inwiefern zwingende Gründe vorliegen, die die
Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Krankenhausversorgung
rechtfertigen können. Als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund käme dem EuGH
nach eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts der sozialen
Sicherheitssysteme in Frage. Zudem sei auch eine Rechtfertigung aus Art. 46 EGV
aus Gründen des öffentlichen Gesundheit möglich. Die betreffende Regelung müsse
allenfalls verhältnismäßig sein. Hinsichtlich des Erfordernisses der vorherigen
Genehmigung urteilte der EuGH, dass aufgrund der erforderlichen Planbarkeit, der
Gewährleistung des ständigen Zugangs zu hochwertiger Krankenhausversorgung, der
Kostenbeherrschung und der Verhinderung der Mittelverschwendung die vorherige
Genehmigung notwendig und angemessen sei. Allerdings gelte dies nur, sofern die
Genehmigungserteilung auf objektiven, gerichtlich überprüfbaren und nicht
diskriminierenden Kriterien beruhe, die im Voraus bekannt sind. Bezüglich der
Üblichkeit der beabsichtigten Behandlung weist der EuGH darauf hin, dass entgegen
der niederländischen Praxis und der Auffassung der niederländischen Regierung eine
Rechtfertigung des Eingriffs nur gelinge, wenn nicht allein auf das abgestellt werde,
was in niederländischen Kreisen üblich sei, sondern auf das, was von der
internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt angesehen werde.
Hinsichtlich der Notwendigkeit der beabsichtigten Behandlung sei eine solche
Regelung nur dann im Hinblick auf Art. 49 EGV gerechtfertigt, wenn die gleiche
oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer
Einrichtung erlangt werden kann, mit der die Krankasse des Versicherten eine
vertragliche Vereinbarung geschlossen hat.
5.5.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Das Urteil schließt die entstandenen Lücken bzgl. der Geltung der
Dienstleistungsfreiheit im Bereich der stationären Versorgung. Und erneut gestattet
er in diesem Bereich die Rechtfertigung von Eingriffen durch ungeschriebene
Rechtfertigungsgründe. Problematisch erscheint allerdings möglicherweise, dass die
zwingenden Gründe des Allgemeinwohls offenbar beliebig richterrechtlich
erweiterbar sind (vgl. etwa die Beispiele des Generalanwalts in Rn. 67). Dies kann
jedoch als logische Konsequenz des weiten Anwendungsbereichs der
Grundfreiheiten angesehen werden.
Zur Frage des Verhältnisses von Primär- und Sekundärrecht hat der EuGH im
vorliegenden Urteil nicht Stellung genommen, was aber aufgrund des Sachverhalts
auch nicht angezeigt gewesen ist.
5.5.6 Literatur/Leitentscheidungen
Kingreen, Zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im europäischen
Binnenmarkt, NJW 2001, 3382 ff.; Novak, Anmerkung zu EuGH Rs. C-157/99
(Smits und Peerbooms) und EuGH Rs. C-368/98 (Vanbraekel), EuZW 2001, 476 f.;
Hatzopoulos,
Killing National Health and Insurance Systems but Healing Patients?
The European Market for Health Care Services after the Judgments of the ECJ in
Vanbraekel and Peerbooms, CMLRev. 2002, 683 ff.
EuGH Smits/Peerbooms Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.6 EuGH Vanbraekel Birgit Schlütter Grundfreiheiten und

5.6.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 12.7.2001 – Rs. C-368/98 – Vanbraekel, Slg. 2001 I-5363 (EuZW
2001, 464 ff.)
5.6.2 Sachverhalt
Bei einen Rechtsstreit zwischen Herrn Vanbraekel und anderen als Erben von Frau
Descamps (Belgierin, im Folgenden D) und der Alliance nationale des mutualités
chrétiennes (im Folgenden: ANMC), der Krankenversicherung von D, ging es um
die Ablehnung der ANMC, Krankenhauskosten zu erstatten, die D im
Zusammenhang mit einer Operation in einem Krankenhaus im Ausland (Frankreich)
entstanden waren. D hatte in Belgien bei der ANMC eine Genehmigung nach Art. 22
Abs. 2 Uabs. 2 der VO 1408/71 beantragt, um sich in Frankreich medizinisch
behandeln zu lassen. Die Genehmigung wurde verweigert, da D´s Unterlagen für die
Genehmigung unvollständig waren.
D ließ sich dennoch in Paris behandeln. Sie verklagte sodann die belgische ANMC
auf Erstattung der gesamten, ihr in Paris entstandenen Kosten. Im Verfahren wurde
festgestellt, dass die Genehmigung für D. hätte erteilt werden müssen (anhand der
Kriterien der VO 1408/71). Die ANMC wendete ein, dass hinsichtlich der Kosten
der nach französischem Recht zu erstattende Betrag zu zahlen sei. D wollte hingegen,
dass der ihr nach belgischem Recht zustehende Betrag (ca. 10.000 Francs mehr)
erstattet werde. Das Rechtsmittelgericht setzte das Verfahren aus und legte dem
EuGH zwei Fragen betreffend die Auslegung von Art. 22 und 36 der VO 1408 /71
vor.
5.6.3 Rechtliche
Probleme
Die Entscheidung kreist im Wesentlichen um die Frage, ob ein Versicherter nach Art. 22 der VO 1408/71 auch den Mehrbetrag erstattet bekommt, der sich dadurch ergibt, dass eine Heilbehandlung im Ausland billiger war, als sie es im Inland gewesen wäre. Der EuGH hatte zu der Frage des „ob überhaupt" der Kostenerstattung schon in den Urteilen vom 20. April 1998 - Rs. C-158/96 - Kohll, Slg. 1998, I-1931 und vom 28. April 1998 – Rs. C-120/95 – Decker, Slg. 1998 I-1831, Stellung genommen. Die Entscheidung Vanbraekel ist zu einem gewissen Teil die Fortführung dieser Rechtsprechung. Jetzt geht es nicht mehr darum, dass Heilbehandlungskosten im Ausland erstattet werden müssen, sofern sie notwendig sind im Sinne der VO 1408/71, sondern darum, wie hoch die Erstattung ausfällt, d.h. ob dazu die Versicherungssätze des Staates, in dem die Behandlung stattfand heranzuziehen sind, oder die Sätze des Staates, in dem der Behandelte versichert ist. EuGH Vanbraekel
5.6.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Aus Art. 22 Abs. 1 lit. c VO 1408/71 ergibt sich ein direkter Anspruch des
Sozialversicherten auf Erstattung der Behandlungskosten bei Behandlung in einem
anderen Mitgliedstaat. Der Anspruch setzt voraus, dass zuvor für die Behandlung
eine Genehmigung (Art. 22 Abs. 2 Uabs. 2 VO 1408/71) erteilt wird. Dabei entsteht
der Anspruch auch, wenn wie hier die Erteilung einer Genehmigung zunächst
rechtswidrig versagt wurde. Der EuGH stellte hierzu fest, dass wegen der später
festgestellten Rechtswidrigkeit der Versagung die Voraussetzungen des Anspruchs
von Anfang an gegeben waren. Es mache keinen Unterschied, ob dies vorher noch
durch ein nationales Gericht festgestellt wurde oder nicht, bzw. könne dies nicht
Voraussetzung für die Entstehung des Anspruches sein. Folglich besteht für D ein
Anspruch auf Erstattung der Heilbehandlungskosten aus Art. 22 Abs. 1 lit. c VO
1408/71.
Fraglich ist jedoch die Höhe der zu erstattenden Kosten. Vorliegend ist die
Behandlung, die in Frankreich erbracht wurde, kostengünstiger als eine Behandlung
in Belgien. Bezüglich des Anspruchs auf die Erstattung der Differenz enthält die VO
1408/71 keine Regelung. Es ergibt sich aus Art. 22 der VO nicht, ob die Erstattung
der Kosten der Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat zu den Sätzen des
Mitgliedstaats, in dem der behandelte Arbeitnehmer versichert ist, erfolgen soll. Die
Mitgliedstaaten sind aber auch nicht an einer solchen Erstattung gehindert.
Es könnte sich aber wegen einer ansonsten vorliegenden Verletzung der
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) eine Verpflichtung zur Erstattung der
Differenz ergeben. (Der Generalanwalt betonte, dass sich eine solche Verpflichtung
auch aus dem Diskriminierungsverboten aus Art. 3 der VO 1408/71 und Art. 42
EGV ergeben kann. Danach müssen nationale Maßnahmen zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit so erfolgen, dass jegliche Diskriminierung aufgrund
des Wohnortes der Arbeitnehmer ausgeschlossen ist.)
Medizinische Leistungen sind Dienstleistungen im Sinne des Art. 49 EGV, da es sich
dabei um entgeltliche Leistungen handelt und da auch freiberufliche Tätigkeiten von
Art. 49 umfasst werden. Von Art. 49 EGV wird auch der Fall umfasst, dass sich der
Dienstleistungsempfänger in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort die
Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (so bereits der EuGH in Urteil vom
31.1.1984 – verb. Rs. C-286/82 und. 26/83 – Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Rn.
16).
Fraglich ist aber dann, ob mit der nach belgischem Recht unterschiedlich hoch
ausfallenden Erstattung der Kosten der Heilbehandlung, je nachdem, ob sie im In-
oder Ausland stattfand, ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit im Sinne einer
Diskriminierung oder Beschränkung gegeben ist.
Die belgische Regelung könnte eine verbotene Diskriminierung im Sinne des Art. 49
EGV darstellen, wie der Generalanwalt in seinen Anträgen erwogen hatte.
Diskriminierungen liegen immer dann vor, wenn die Tatbestände der Regelungen
entweder direkt an die Staatsangehörigkeit als Differenzierungskriterium anknüpfen
(direkte Diskriminierung), oder wenn sie typischerweise nur Tatbestände erfassen, bei
denen Mitgliedsstaatsangehörige anderer Staatsangehörigkeiten betroffen werden
(indirekte Diskriminierung). Weil die Regelung typischerweise nur diejenigen
Staatsangehörigen Belgiens betrifft, die sich im Ausland einer Heilbehandlung
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) unterzogen haben, könnte es sich um eine indirekte Diskriminierung handeln. Dadurch, dass die Kosten in der Höhe erstattet werden, wie sie tatsächlich entstanden sind, diskriminiert die Regelung zunächst nicht die Dienstleister, die von Art. 49 EGV geschützt sind. Auch dem Dienstleistungsempfänger entstehen keine Nachteile gegenüber Angehörigen aus anderen Mitgliedstaaten, da er den Betrag erstattet bekommt, den er auch gezahlt hat. Ein Franzose hätte im Fall auch nur den Betrag erstattet bekommen, den D auch zugesprochen bekommen hat. D könnte allenfalls gegenüber den belgischen Staatsangehörigen, die sich im Inland behandeln lassen, schlechter gestellt werden. Da diese jedoch die in Belgien höheren Kosten bestreiten müssen und diese dann erstattet bekommen, ist auch hierin keine Diskriminierung zu sehen. Eine Beschränkung ist jede Regelung, die die Ausübung der Freiheit aus Art. 49 EGV erschwert (vgl. EuGH, Urt. v. 12.7.1984 – Rs. C-107/83 – Klopp, Slg. 1984, 2971). Sie könnte hier darin liegen, dass die Sozialversicherte im vorliegenden Fall eine weniger günstige Erstattung erhält, weil sie sich in einem anderen MS behandeln hat lassen. In der Erstattung der Kosten, die tatsächlich auch durch die Heilbehandlung entstanden sind, ist aber keine Behinderung der Inanspruchnahme einer Heilbehandlung im Ausland, d. h. der hier fraglichen Dienstleistung, zu sehen. D hat sich im Ausland behandeln lassen, und bekommt auch die ihr für die Heilbehandlung entstandenen Ausgaben erstattet. Da ihr somit keine eigenen Kosten entstehen, wurde sie nicht an einer Heilbehandlung im Ausland gehindert. Dass sie dann den Mehrbetrag nicht mehr verlangen kann, der dadurch entsteht, dass nach belgischem Recht eine Behandlung mit höheren Kosten verbunden ist und dementsprechend ein höherer Betrag erstattet wird, stellt keine Behinderung Dienstleistung an sich dar. Denn bei einer Behandlung in Belgien selbst hätte D schließlich auch nur die entstandenen Kosten – die augenscheinlich höher als in Frankreich sind – erstattet bekommen und nicht etwa noch eine Zuzahlung von der Krankenkasse erhalten. Trotz dieser Probleme, eine Diskriminierung oder Beschränkung anzunehmen, hat der EuGH eine Beschränkung relativ problemlos angenommen. Er verweist dabei auf den in dem Urteil Luisi und Carbone, entwickelten Gedanken, dass eine Regelung wie die belgische geeignet ist, den Versicherten davon abzuschrecken oder ihn daran zu hindern, sich an Erbringer von medizinischen Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu wenden. Dies stelle eine Behinderung sowohl des Versicherten als auch des Dienstleistenden dar. Da im Fall die Versicherte durch eine Behandlung im Ausland wegen der vollen Kostenerstattung keinen Nachteil erlitten hat, ist diese Argumentation schwer nachzuvollziehen. Insbesondere der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen betont, dass unter der Berücksichtigung der in den Urteilen Kohll und Decker genannten Grundsätze eine ungerechtfertigte Diskriminierung im Sinne der Vorschriften des primären und abgeleiteten Rechtes vorliege, wenn eine Maßnahme der sozialen Sicherheit eine unterschiedliche Behandlung vorsieht, je nachdem, wo die medizinische Leistung erbracht werde. Demzufolge liegt die Dienstleistung aber nicht in der Heilbehandlung beim ausländischen Arzt, sondern in der Leistung der sozialen Sicherungssysteme aufgrund der Heilbehandlung. Damit vermischt der Generalanwalt aber die mitgliedstaatliche Regelung und die Dienstleistung. EuGH Vanbraekel
Sodann kommt es auf die Rechtfertigung der angenommenen Beschränkung an. Ein
seit den Fällen Kohll und Decker anerkannter Rechtfertigungsgrund einer
Beschränkung des Art. 49 EGV ist der Schutz des finanziellem Gleichgewichts des
Systems der sozialen Sicherheit als zwingender Grund des Allgemeininteresses. Dabei
geht es darum, dass Behandlungskosten für die Behandlung vom
Mitgliedstaatsangehörigen, nicht im Heimatstaat in das System der
Krankenversicherungen fließen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat. Damit wird
aber das System der Krankenversicherungen aus dem Heimatstaat geschädigt, da die
Leistungen nicht im Inland zirkulieren, sondern ins Ausland abfließen. Der EuGH
hat in den Urteilen Kohll/Decker und Duphar (EuGH, Urt. v. 7.2.1984 – Rs. 238/82
– Duphar, Slg. 1984, 523) die Befugnis der Mitgliedstaaten anerkannt, ihre Systeme
der sozialen Sicherheit selbst auszugestalten.
Der Rechtfertigungsgrund ist hier aber nicht einschlägig, denn der Sozialversicherten
steht ein Anspruch auf die Leistungserstattung wie oben festgestellt zu. Eine
ergänzende Erstattung belastet die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr als üblich,
denn nach belgischem Recht hätte D bei einer Behandlung im Inland ohnehin den
höheren Betrag erstattet bekommen. Eine Gefährdung der sozialen Sicherheit ist
damit nicht ersichtlich. Die Beschränkung wäre danach nicht gerechtfertigt und den
Erben von D steht eine ergänzende Erstattung zu.
5.6.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Wie bereits erwähnt, liegt in der Entscheidung Vanbraekel eine Fortführung der bisherigen Rechtsprechung Kohll und Decker. Der EuGH spricht mit dem Urteil den Versicherten, die sich im Ausland einer billigeren Behandlung unterziehen, einen Vorteil zu, da sie nach der Entscheidung einen Anspruch auf den Differenzbetrag haben, der sich aus den höheren Kosten in ihrem eigenen Mitgliedstaat ergibt. Politisch gesehen mag die Entscheidung verständlich sein, da sie eine Angleichung der Leistungen im medizinischen Dienstleistungssektor forciert. Sie ist stellt somit auch eine „Bestrafung" des offensichtlich zu teuren belgischen Versicherungssystems dar. Gegen die Entscheidung kann angeführt werden, dass mit ihr die teuerste aller Lösungen, nämlich die der Erstattung des Mehrbetrags, favorisiert wird. Auch wird die Entwicklung der Versicherungssysteme in den MS beeinflusst. Die Entscheidung drängt auf eine Angleichung der Versicherungsleistungen und somit in gewisser Hinsicht auch auf eine Harmonisierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Diese Angleichung wird sich jedoch schwierig gestalten, solange es in der EG noch unterschiedliche Versicherungssysteme, nämlich Sachleistungs- und Geldleistungssysteme, gibt, die von der VO 1408/71 in deren Art. 22 auch ausdrücklich anerkannt werden. Ein Versicherter, der in einem Sachleistungssystem wie in Deutschland versichert ist, wird aus dem Urteil keine Vorteile ziehen können, da er in seinem Heimatstaat keine höhere Kostenerstattung erhalten hätte. Schließlich stellt sich die Frage, ob eine Angleichung auch gerade wegen des vom EuGH selbst postulierten Rechtfertigungsgrundes des Schutzes des finanziellen Gleichgewichtes der Systeme der sozialen Sicherheit so wünschenswert ist. Mit der Anerkennung des Rechtfertigungsgrundes hatte der EuGH auf die Besonderheiten eines solchen sozialen Versicherungssystems Rücksicht nehmen wollen. Es lebt ausschließlich Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
davon, dass die Leistungen und Gegenleistungen nur auf nationaler Ebene
ausgetauscht werden und nicht auf dem gesamteuropäischen Markt.
5.6.6 Literatur/Leitentscheidungen
Novak, Anmerkung zum Urteil, EuZW 2001, 476 f.; zum Verhältnis zwischen
Grundfreiheiten und Sozialversicherungsrecht Becker, Brillen aus Luxemburg und
Zahnbehandlung in Brüssel - Die Gesetzliche Krankenversicherung im europäischen
Binnenmarkt zu EuGH v. 28. 4. 1998, Rs. C-120/95 (Decker), und EuGH v. 28. 4.
1998, Rs. C-158/96 (Kohll), NZS 1998, 359 ff.
EuGH Merck 5.7 EuGH Merck Philipp Melcher Warenverkehrsfreiheit und

5.7.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 23.4.2002 – Rs. C-443/99 – Merck, Sharp & Dohme GmbH /
Paranova Pharmazeutika Handels GmbH, Slg. 2002 I-3703 (EuZW 2002, 542 ff.)
5.7.2 Sachverhalt
Die M (Merck) vertreibt in Österreich ein Medikament der Marke „Proscar", einer zu
ihrer Berechtigung eingetragenen Marke. Die P (Paranova) betätigt sich als
Parallelimporteurin, das heißt, sie kauft eine bestimmte Menge dieses Medikaments
unter Ausnutzung des Preisunterschieds auf dem günstigeren spanischen Markt,
importiert sie nach Österreich und bringt sie dort auf den Markt. Das Medikament
wird dabei von der M in Spanien wie in Österreich in gleich großen Verpackungen,
bestehend aus zwei Blistern mit je 14 Tabletten, vertrieben. Trotzdem packt die P
vor dem Parallelimport die Arzneimittel aus ihren Originalpackungen in neue, von
ihr selbst gestaltete und speziell auf den österreichischen Markt ausgerichtete
Verpackungen um, die dann auch die gesetzlich für den Vertrieb in Österreich
erforderlichen Angaben enthalten. Ihr beigefügt werden noch neue, ins Deutsche
übersetzte Informationen über Indikationen und Verbrauch.
Die M meint, die Verwendung der Marke durch deren Anbringen auf der neuen
Verpackung stelle einen nicht erforderlichen Eingriff in ihr Markenrecht dar. Da die
Arzneimittel in Spanien und Österreich in gleich großen Verpackungen vertrieben
werden, sei ein Umpacken nicht erforderlich gewesen und hätte ein bloßes
Überkleben der ursprünglichen Verpackung mit den übersetzten und für Österreich
erforderlichen Angaben ausgereicht. Die wirtschaftlichen Interessen des Importeurs
seien subjektiver Art und dürften bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit seines
Verhaltens nicht herangezogen werden.
Die P hält dem entgegen, das Umpacken der Ware wahre die Absatzchancen auf dem
österreichischen Markt, weil diese bei überklebten Verpackungen aus dem Ausland
durch Hervorrufen von Misstrauen und ablehnende Haltung von Verbrauchern und
Apothekern empfindlich beeinträchtigt würden. Daher würde die Pflicht zur
Anbringung von Aufklebern zu einer unerwünschten Abschottung der Märkte
führen.
Das Handelsgericht Wien erlässt ein Unterlassungsgebot gegen P. Das
zweitinstanzliche OLG Wien möchte vom EuGH im Wege der Vorabentscheidung
(Art. 234 EGV) wissen, ob sich der Inhaber einer Marke gegen die Verwendung
seiner Marke auf parallel importierter Ware nach Ersetzen der Originalverpackung
durch eine neue, vom Parallelimporteur gestaltete wehren und vom Parallelimporteur
verlangen kann, sich auf das Anbringen von Aufklebern zu beschränken.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
5.7.3 Rechtliche
Probleme
Die Problematik des Parallelimports einer Ware unter Verwendung einer fremden Marke in einen Mitgliedstaat, in dem diese Marke zu Gunsten des Markeninhabers eingetragen ist, betrifft den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit. Hier ist zu prüfen, ob das Unterlassungsgebot eine nicht gerechtfertigte mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne der Art. 28 und 30 EGV darstellt. I. Anwendungsbereich des Art. 28 EGV Zunächst stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Markenrichtlinie zur Warenverkehrsfreiheit. Vorrangiges Sekundärrecht? RL 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, gestützt auf Art. 95 EGV, Art. 7 [Erschöpfung des Rechts aus der Marke]: „(1) Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist." Während der EuGH noch in Bristol-Myers Squibb ausführte, dass, „wenn eine Richtlinie der Gemeinschaft Harmonisierung der Maßnahmen vorsieht, die zur Gewährleistung des Schutzes von in Art. 36 EGV genannten Belangen notwendig sind, [.] alle nationalen Maßnahmen in diesem Bereich anhand dieser Richtlinie und nicht anhand der Art. 30 bis 36 EGV zu beurteilen" (Rn. 25) sind und sodann die nationale Maßnahme dementsprechend (schulmäßig) anhand der Richtlinie prüfte, führte er in dem am gleichen Tage ergangenen Urteil Eurim-Pharm aus, dass „Art. 7 Richtlinie ebenso wie Art. 36 EGV den Zweck [hat], die grundlegenden Belange des Markenschutzes mit denen des freien Warenverkehrs im Gemeinsamen Markt in Einklang zu bringen. Da mit diesen beiden Bestimmungen somit dasselbe Ergebnis angestrebt wird, sind sie gleich auszulegen" (Rn. 27) und prüfte die nationale Maßnahme ausschließlich an den Art. 28, 30 EGV. Damit bestätigt sich einmal mehr die Tendenz des EuGH, in Fällen, in denen eigentlich vorrangiges und einschlägiges, aber materiell im Vergleich zu der jeweiligen Grundfreiheit im wesentlichen gleiches Sekundärrecht vorliegt, das Sekundärrecht zu vernachlässigen und die nationale Maßnahme anhand der Grundfreiheit zu überprüfen, wobei das Primärrecht dabei wiederum im Lichte des Sekundärrechts ausgelegt wird. II. Rechtfertigung Art. 30 EGV Das Beschränkung wäre gerechtfertigt, wenn sie dem Schutz gewerblicher oder kommerzieller Rechte dient (Art. 30 S. 1 EGV) und keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellt (Art. 30 S. 2 EGV). 1. Art. 30 S. 1 EGV Nach Art. 30 EGV hat der Inhaber eines Warenzeichens prima facie das Recht, den Importeur eines Markenerzeugnisses daran zu hindern, nach dem Umpacken der EuGH Merck Ware das Warenzeichen ohne Zustimmung des Zeicheninhabers auf der neuen Verpackung anzubringen. Anders gesagt, ist ein dahingehendes Unterlassungsgebot eines nationalen Gerichts nach Art. 30 S. 1 EGV prima facie gerechtfertigt (Hoffmann-La Roche). Aus folgenden Erwägungen: Der spezifische Gegenstand des Warenzeichens besteht darin, das der Inhaber das ausschließliche Recht hat, das Warenzeichen zu benutzen, um von ihm geschützte Erzeugnisse erstmals in den Verkehr zu bringen, und soll ihn somit vor Konkurrenten schützen, die durch widerrechtliche Veräußerung mit diesem Zeichen versehener Erzeugnisse die aufgrund des Warenzeichens erworbene Stellung und Kreditwürdigkeit ausnutzen wollten. Für die Beantwortung der Frage, ob der spezifische Gegenstand des Warenzeichens die Befugnis umfasse, sich der Anbringung des Warenzeichens durch einen Dritten nach Umpacken des Erzeugnisses zu widersetzen, und ob ein solches Verhalten folglich nach Art. 30 EGV gerechtfertigt sei, sei die Hauptfunktion des Warenzeichens zu berücksichtigen. Diese bestehe darin, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichneten Erzeugnisses zu garantieren, indem ihm ermöglicht werde, dieses Erzeugnis ohne Verwechselungsgefahr von Erzeugnissen anderer Herkunft zu unterscheiden. Diese Herkunftsgarantie schließe ein, dass der Verbraucher oder Endabnehmer sicher sein dürfe, dass an einem gekennzeichneten Erzeugnis nicht durch einen Dritten ohne Zustimmung des Warenzeicheninhabers ein Eingriff vorgenommen worden sei, der den Originalzustand des Erzeugnisses berührt habe. Das Recht des Warenzeicheninhabers, jede Benutzung des Warenzeichens zu verhindern, die die so verstandene Herkunftsgarantie verfälschen könnte, gehört somit zum spezifischen Gegenstand des Warenzeichenrechts. 2. Art. 30 S. 2 EGV Die Ausübung des nationalen Schutzrechts bzw. die dieses bestätigende nationale Gerichtsentscheidung wäre aber dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sie eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten iSv Art. 30 S. 2 EGV darstellt. Eine derartige Beschränkung liegt dann vor, wenn (1) erwiesen ist, dass die Geltendmachung des Warenzeichens durch den Inhaber unter Berücksichtigung des von ihm angewandten Vermarktungssystems zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen würde. Zum Beispiel: - Marke ist erschöpft, d. h. in einem Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht worden, kann aber so nicht (re-)importiert werden - Widersetzen gegen (notwendiges) Rebranding. Diese Voraussetzung bedeutet nicht, dass der Importeur nachweisen muss, dass der Markeninhaber beabsichtigt hat, die Märkte zwischen den Mitgliedstaaten abzuschotten (Bristol-Myers Squibb). - wenn das Umpacken für den Vertrieb in dem Einfuhr-Mitgliedstaat objektiv erforderlich ist. Die Voraussetzung der Erforderlichkeit ist nicht erfüllt, wenn das Umpacken bzw. die Ersetzung der Marke ihren Grund ausschließlich darin hat, dass der Parallelimporteur einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen will, zudem wenn es dem Importeur möglich ist, eine im Einfuhrmitgliedstaat vertriebsfähige Verpackung zu schaffen, die weniger stark in die Rechte des Markeninhabers eingreift, indem er z. B. auf der äußeren oder inneren Originalverpackung neue Etiketten in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaates anbringt oder neue Beipack – oder Informationszettel in der Sprache des Einfuhrmitgliedstaates beilegt. Stellt das nationale Gericht daher fest, dass überklebte Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
Packungen tatsächlich Zugang zum Markt haben, dann kann es für den
Parallelimporteur nicht erforderlich sein, einschneidendere Formen des Umpackens
wie das Neuverpacken zu wählen (Bristol-Myers Squibb).
(2) dargetan ist, dass das Umpacken den Originalzustand des Erzeugnisses, also der
Ware in der Verpackung, nicht beeinträchtigen kann
(3) auf der neuen Packung angegeben ist, von wem das Erzeugnis umgepackt worden
ist und wer der Hersteller ist
(4) die neue Verpackung nicht geeignet ist, den Ruf der Marke und ihres Inhabers zu
schädigen
(5) wenn der Inhaber des Warenzeichens vorher vom Feilhalten des umgepackten
Erzeugnisses unterrichtet und ihm auf Verlangen ein Muster der umgepackten Ware
geliefert wird
5.7.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Festzustellen ist zunächst, dass der EuGH seine Entscheidung nicht auf die RL
89/104/EWG stützt. Das ist damit zu erklären, dass sich die Vorlagefrage hier nicht
auf das Verhältnis zwischen Art. 7 RL und Art. 30 EGV bezog. Entscheidend ging es
also um die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Umpacken eines
Arzneimittels durch einen Parallelimporteur objektiv erforderlich ist bzw. unter welchen
Voraussetzungen die Verpflichtung, sich auf das Überkleben der Originalverpackung
zu beschränken, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte führen würde.
Der EuGH hat diese Frage wie folgt beantwortet: Das Umpacken sei nicht
erforderlich, wenn mit Etiketten überklebte Arzneimittelpackungen tatsächlich
Zugang zum betreffenden Markt erlangen können. Das Umpacken sei erforderlich,
wenn auf dem Markt bzw. einem beträchtlichen Teil des Marktes ein so starker
Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen mit Etiketten
überklebte Arzneimittelpackungen besteht, dass von einem Hindernis für den
tatsächlichen Zugang zum Markt auszugehen ist. Unter diesen Umständen würde mit
dem Umpacken der Arzneimittel nicht ausschließlich ein wirtschaftlicher Vorteil
angestrebt, sondern es diente zur Erlangung des tatsächlichen Zugangs zum Markt.
Er folgt damit den Schlussanträgen des Generalanwalt Gulmann (Rn. 110).
5.7.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Zu erkennen ist hier eine deutliche Subjektivierung der „objektiven" Erforderlichkeit des Umpackens. Während der EuGH in früheren Entscheidungen ausschließlich auf nationale Rechtsvorschriften bzw. Verschreibungs- und Erstattungspraktiken nationaler Berufsverbände und Krankenversicherungen abstellte (Praktiken mit gleicher Wirkung), um ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaates zu beurteilen, bezieht er jetzt auch (zwar unter qualifizierten Bedingungen, aber immerhin) Abneigungen der Verbraucher gegen nicht umgepackte überklebte Ware in Rechnung. Damit werden die nationalen Schutzrechte der Markeninhaber (weiter) geschwächt und die Rechte der Parallelimporteure (weiter) gestärkt. EuGH Merck
Problematisch ist daran, dass diese Subjektivierung zu größerer Rechtsunsicherheit
führt und den nationalen Gerichten die kaum zu leistende Aufgabe beschert,
mehrheitliche Neigungen und Abneigungen der nationalen Verbraucher feststellen zu
müssen. Andererseits bleibt bei Einhaltung der Voraussetzungen die
Herkunftsgarantiefunktion des Warenzeichens gewahrt. Dies führt zu stärkerem
Preisdruck und damit zu einer Senkung der Kosten im Gesundheitssystem und für
den Verbraucher.
In der Praxis wird diese Problematik hervorgerufen von dem Umstand, dass der
Arzneimittelmarkt noch weit von einem echten Binnenmarkt entfernt ist. Die
Mitgliedstaaten versuchen mit allen Mitteln, die explodierenden Kosten im
Gesundheitssystem in den Begriff zu bekommen und fördern parallelimportierte
Arzneimittel (z. B. durch Weitergabe des Beipackzettels des Herstellers an alle
Parallelimporteure). Die Parallelimporteure nutzen die Preisunterschiede zwischen
den Mitgliedstaaten aus, kaufen dort, wo die Preise niedrig sind und verkaufen die
Produkte in Hochpreisländern, was zu Einsparung von Kosten auch bei den
Konsumenten und nationalen Gesundheitskassen führt. Die Hersteller lassen
ihrerseits nichts unversucht, um gegen die Parallelhändler vorzugehen. Mit Hilfe von
Patenten, Urheber- und Markenrechten versuchen sie, parallelimportfeste Märkte zu
schaffen. Auf europäischer Ebene müssen der EuGH und der EFTA-Gerichtshof in
ihrer Rolle als Schlichter zwischen der wachsenden ökonomischen Bedeutung der
Immaterialgüterrechte und den Grundfreiheiten bzw. dem Wettbewerbsrecht einen
Ausgleich finden. Das Problem wird zusätzlich dadurch verschärft, dass das TRIPS-
Abkommen der Förderung der Parallelimporte gewisse Grenzen setzt.
5.7.6 Literatur/Leitentscheidungen
Leading cases des EuGH im Markenrecht - „allgemeines" Markenrecht
EuGH, Urt. v. 22.6.1994 – Rs. C-9/93 – Ideal Standard, Slg. 1994 I- 2789 (EuZW
1994, 467 ff.)
Leading cases des EuGH im Markenrecht – „besonderes" Markenrecht im Arzneimittelbereich
Urt. v. 24.5.1977 – Rs. 107/76 – Hoffmann-LA ROCHE, Slg. 1977, 957 ff.; EuGH,
Urt. v. 11.7.1996 – verb. Rs. C-427/93, C-429/93 und C-436/93 – Bristol-Myers
Squibb, Slg. 1996 I-3457; EuGH, Urt. v. 11.7.1996 – verb. Rs. C-71-73/94 – Eurim-
Pharm, Slg. 1996 I-9603 mit Anmerkung Lüder; EuZW 2000, 181ff.
Zacker/Wernicke, Examinatorium Europarecht, 2. Auflage 2000, 160 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.8 EuGH Ferring und EuG SIC Marie-Christine Höbert/Nils Ipsen
5.8.1 Entscheidungen mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 22.11.2001 – Rs. C-53/00 – Ferring, Slg. 2001, I-9067 und EuG, Urt.
v. 10.5.2000 – Rs. T-46/97 – SIC, Slg. 2000, II-2125
5.8.2 Sachverhalte
In Frankreich müssen die Pharmahersteller, die ihre Medikamente im Direktverkauf vertreiben, im Gegensatz zu den Großhändlern von Humanarzneimitteln eine Direktverkaufsabgabe zahlen, als Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Pflichten (Sicherstellung der Versorgung mit Medikamenten) der Großhändler. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrte die Rückzahlung dieser Abgabe, da die Freistellung der Großhändler von derselbigen ein Beihilfe im Sinn des Art. 87 EGV darstellte und entgegen der Vorschrift des Art. 88 Abs. 3 EGV von der Kommission nicht ordnungsgemäß notifiziert worden war. Im Rahmen einer Vorabentscheidung hatte der EuGH zu entscheiden, ob die Nichterhebung der Direktverkaufsabgabe eine Beihilfe darstellt und, wenn ja, ob sie gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt sein könnte. In der Rechtssache SIC waren Mittelzuweisungen Portugals als Ausgleichszahlungen zugunsten der öffentlichen Rundfunkanstalt RTP ergangen. Diese Ausgleichszahlungen dienten der Finanzierung der Lasten, die der RTP aufgrund der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen entstanden (z. B. die Ausstrahlung von Programmen, die das gesamte portugiesische Festland erreichten). SIC (eine private Rundfunkanstalt) legte daraufhin eine Beschwerde ein, die darauf gerichtet war, dass die Maßnahmen Beihilfen im Sinne des Art. 87 EGV darstellten, die nicht von der Kommission gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV genehmigt worden waren. Erst nach mehr als drei Jahren entschied die Kommission, dass keine Beihilfen vorlägen und dem gemäß nicht das Hauptverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EGV einzuleiten sei. Mittels einer Nichtigkeitsklage verlangt SIC die Feststellung der Nichtigkeit diese Entscheidung. Die Klägerin stützt den Nichtigkeitsantrag zum einen auf einen Verstoß der Verfahrensvorschriften des Art. 88 EGV, da die Kommission trotz bestehender Beurteilungsschwierigkeiten hinsichtlich der Qualifizierung der portugiesischen Maßnahmen als Beihilfe und ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt das förmliche Hauptverfahren nach Art. 88 EGV nicht eingeleitet hatte und zum anderen auf einen Verstoß gegen Art. 87 EGV, da die Kommission den Beihilfecharakter der portugiesischen Maßnahmen im Rahmen des vorläufigen Verfahrens verneint hatte. EuGH Ferring und EuG SIC
5.8.3 Rechtliche
Probleme
Das Hauptproblem in den beiden Fällen ist die Definition des Beihilfebegriffes. Es werden
dabei zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Beurteilung staatlicher Finanzierungen
von Dienstleistungen im allgemeinem Interesse vertreten. Die entscheidende Frage
ist dabei, ob überhaupt eine Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV vorliegt, wenn
durch die staatliche Finanzierung lediglich Nachteile ausgeglichen werden, die dem
Unternehmen durch eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung entstehen (im
folgenden Ausgleichsansatz), oder das Vorliegen einer Beihilfe zwar bejaht wird, diese
jedoch gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV regelmäßig gerechtfertigt ist (im folgenden
Beihilfeansatz).
5.8.4 Kernaussagen/ Tendenzen der Entscheidungen
In der Rechtssache Ferring vertritt der EuGH dem Generalanwalt Tizzano folgend die erste Möglichkeit. Er wählt dabei einen zweistufigen Prüfungsaufbau für Art. 87 EGV. Zunächst stellt er fest, ob abgesehen von der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Großhändler die Abgabenbefreiung grundsätzlich den Tatbestand der Beihilfe erfüllt. Eine Maßnahme ist dann eine Beihilfe, wenn sie bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen einen einseitigen Vorteil verschafft, der Vorteil unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt wird, der Vorteil den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, die Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. In diesem Fall bejaht der EuGH den prinzipiellen Beihilfecharakter der Maßnahme. Auf der zweiten Stufe wird dann jedoch geprüft, ob die Einstufung der Regelung als Beihilfe wegen der besonderen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auszuschließen ist. Dabei knüpft der EuGH an das Merkmal des „einseitigen Vorteils" an. Solange die staatlichen Zuwendungen nicht über die durch die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Kosten hinausgehen, sind sie nur als adäquate Gegenleistung zu sehen, so dass der staatliche Eingriff in seiner Gesamtheit für das Unternehmen wirtschaftlich neutral ist und kein einseitiger Vorteil gewährt wird. Folglich liegt kein Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV vor. Der EuGH bezieht sich dabei auf seine Rechtsprechung zur Altölbeseitigung (EuGH, Urt. v. 7. 2. 1985 – Rs. 240/83 – ADBHU, Slg. 1985, 531. Im Anschluss geht der EuGH noch kurz auf eine mögliche Rechtfertigung der Maßnahme nach Art. 86 Abs. 2 EGV ein. Eine staatliche Beihilfe kann gerechtfertigt sein, sofern sie nur die wirtschaftlichen Nachteile, die aus der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung entstehen, ausgleicht. Der Antrag auf Nichtigkeitserklärung der Entscheidung war schon wegen einem Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften begründet. Das EuG hält es – u. a. wegen der langen Prüfungsdauer – für erwiesen, dass die Kommission nach einer ersten Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
Prüfung nicht in der Lage war, eindeutig festzustellen, dass es sich bei den
Maßnahmen nicht um Beihilfen handelte. Folglich war sie verpflichtet das förmliche
Hauptverfahren gemäß Art. 88 Abs. 2 EGV einzuleiten.
In den Ausführungen zum Beihilfecharakter der strittigen Maßnahmen geht das EuG
vom Beihilfeansatz aus. Demnach soll im Rahmen des Art. 87 Abs. 2 EGV nicht
nach den Gründen und Zielen der staatlichen Beihilfe unterschieden werden,
sondern die Definition soll ausschließlich über die Wirkung erfolgen. Der
Beihilfebegriff ist somit ein objektiver Begriff, der sich nur danach bestimmt, ob eine
staatliche Maßnahme einem Unternehmen einen ersichtlichen Vorteil verschafft.
Diese Beihilfe kann gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt sein, wenn sie nur die
wirtschaftlichen Nachteile, die aus der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung
entstehen, ausgleicht.
Das EuG setzt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung aus früheren
Entscheidungen fort (vgl. Urt. v. EuG vom 27.2.1997 - Rs. T-106/95 - FFSA, Slg.
1997, II-229).
5.8.5 Konsequenzen
für Prüfung und Praxis
Bei der Beurteilung staatlicher Finanzierungen von Dienstleistungen im allgemeinem Interesse als Beihilfen vertreten nicht nur der EuGH und das EuG unterschiedliche Ansichten, sondern es herrscht auch zwischen den Generalanwälten und einzelnen Mitgliedstaaten Uneinigkeit (vgl. zusammenfassend Schlussantrag des Generalanwalts Léger vom 14. 1. 2003 – Rs. C-280/00 – Altmark Trans GmbH). Es handelt sich also hier um eine hoch aktuelle Problematik, da auch noch zwei weitere Entscheidungen (Rs. C-280/00 – Altmark Trans GmbH und Rs. C-126/01 - GEMO beim EuGH anhängig sind, in denen der Beihilfebegriff eine Rolle spielt und die Generalanwälte dort jeweils mit unterschiedlichen Lösungen vom Urteil Ferring abweichen wollen. Konsequenzen der unterschiedlichen Beurteilung Zunächst ist festzustellen, dass, unabhängig welchem Ansatz gefolgt wird, die entscheidende Sachfrage die gleiche bleibt. Es kommt darauf, ob die staatliche Hilfe über eine angemessene Vergütung der Belastungen aufgrund der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen hinausgeht. Geht sie darüber hinaus so liegt eine Beihilfe vor, die auch nicht durch Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt werden kann. Trotzdem macht es einen Unterschied, ob schon der Tatbestand einer Beihilfe verneint wird, oder ob zwar eine Beihilfe vorliegt, diese aber gerechtfertigt ist. Mitteilungspflicht an die Kommission Jeder Mitgliedsstaat ist verpflichtet gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen zu unterrichten, um dieser die Möglichkeit zu geben, die Beihilfen auf die Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt zu prüfen. Diese Mitteilungspflicht besteht auch für Beihilfen die gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt sind (vgl. EuGH, Urteil v. 26. 9. 1996 - Rs. C-387/92 - Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877). Hier entscheidet also der gewählte Ansatz über das Bestehen einer Mitteilungspflicht. Dies ist insofern von EuGH Ferring und EuG SIC besonderer Bedeutung als ein Unterlassen der Mitteilung zu einer automatischen nachträglichen Rechtswidrigkeit der Beihilfe (in der Regel wegen fehlender Genehmigung) und zur Verpflichtung, die empfangende Finanzierung zurück zu gewähren, führt (Art. 88 Abs. 3 S. 3 EGV). Anforderungen an den Tatbestandsauschluss bzw. Rechtfertigung der Beihilfe Auch die erforderlichen Voraussetzungen des Urteils Ferring bzw. des Art. 86 Abs. 2 EGV, die zum Ausschluss der Beihilfe führen, sind nicht identisch. Nach dem Urteil Ferring müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine staatliche Maßnahme nicht unter Art. 87 Abs. 1 EGV fällt. Erforderlich ist, dass (1) den begünstigten Unternehmen nach den nationalen Rechtsvorschriften gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt sind und dass (2) der Betrag der Maßnahme die sich aus dieser Verpflichtung ergebenen Kosten nicht übersteigt. Die Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EGV sind im Vergleich dazu strenger gefasst. Im Rahmen des Art. 86 Abs. 2 EGV muss gewährleistet sein, dass das betreffende Unternehmen durch einen Hoheitsakt der öffentlichen Gewalt mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut worden ist; an der Tätigkeit des Unternehmens ein allgemeines wirtschaftliches Interesse besteht, das sich von dem Interesse an anderen Tätigkeiten des Wirtschaftslebens besonders unterscheidet; die Anwendung der Vertragsbestimmungen die Erfüllung der dem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben verhindern würde; die besondere Aufgabe des Unternehmens nicht mit Hilfe von Maßnahmen erreicht werden kann, die den Wettbewerb weniger beschränken; die streitige Maßnahme den innergemeinschaftlichen Handel nicht wesentlich beeinträchtigt. Argumente Für beide Ansätze lassen sich Argumente finden, von denen einige dargestellt werden sollen. Argumente für die Ferring-Rechtsprechung (Ausgleichsansatz) (Auch vertreten von GA Tizzano, Deutschland, Frankreich und Spanien) Dem Unternehmen wird kein wirklicher Vorteil gewährt, es werden nur Belastungen ausgeglichen und somit gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen. Wenn ein Staat Waren käuflich erwirbt oder Dienstleistungen gegen Entgelt in Anspruch nimmt, so liegt eine Dienstleistung nur vor, wenn und soweit die gezahlte Vergütung über das angemessene Maß hinausgeht. Es ist nicht ersichtlich, warum etwas anderes gelten soll, wenn der Staat Dienstleistungen Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) gegen Entgelt in Anspruch nimmt, die der Allgemeinheit gegenüber zu erbringen sind. Allerdings stellen letztere keinen marktgängigen Vertragsgegenstand da. Nach der Rechtsprechung müssen auch gerechtfertigte Beihilfen vorher der Kommission gemeldet werden. Insbesondere das Stillhalteerfordernis des Art. 88 Abs. 3 EGV kann der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse durch Privatunternehmen ernstlich entgegen stehen. Gerade bei dringend zu erbringenden Dienstleistungen (z. B. Ambulanzdienste) kann ein Warten auf die vorherige Genehmigung unzumutbar sein. Wenn andererseits der Mitgliedstaat die Beihilfe vor Erteilung der Genehmigung durchführt, so ist diese rechtswidrig. Flexiblere Lösungen wären also möglich. Argumente für SIC-Rechtsprechung (Beihilfeansatz) (Auch vertreten von der Kommission und GA Léger) Die Struktur und Systematik der Bestimmungen über staatliche Beihilfen würde bei Anwendung des Ausgleichsansatzes geändert. Der Sonderregelung des Art. 86 Abs. 2 EGV und den in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen im Bereich der Kontrolle der staatlichen Beihilfen würde jede Bedeutung genommen. Entweder geht die staatliche Finanzierung nicht über das hinaus, was zum Ausgleich der zusätzlichen Kosten der erbrachten Dienstleistungen erforderlich ist. Dann läge keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV vor und es bestünde somit keine Notwendigkeit, die Vereinbarkeit der Maßnahme mit Art. 86 Abs. 2 EGV zu prüfen. Oder die Finanzierung geht über das notwendige Maß hinaus, dann könnte die Maßnahme auch nicht nach Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt sein, da sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen würde. Mithin gäbe es keine Fälle, in denen die Kommission oder ein nationales Gericht nachprüfen könnte, ob die fragliche Finanzierung die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Eine Beihilfe im Sinne des Vertrages liegt schon vor, wenn einem Unternehmen überhaupt ein (ersichtlicher) Vorteil gewährt wird. Dieses ergibt sich aus Art. 73 EGV, in dem von „Beihilfen, die.der Abgeltung bestimmter . Leistungen entsprechen" die Rede ist. Hier wird also trotz des Vorliegens einer Gegenleistung von einer Beihilfe ausgegangen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Kohärenz der Vertragsbestimmungen muss dieser Beihilfebegriff für den gesamten Vertrag gelten. In der Rechtssache Ferring wird das Vorliegen einer Beihilfe klassisch zweistufig geprüft, die Rechtfertigung wird in den Tatbestand vorgezogen. Diese Vermischung der Tatbestands- und Rechtfertigungsebene widerspricht der sonstigen Prüfungssystematik des EGV. Schließlich wären die Maßnahmen zur Finanzierung der öffentlichen Dienstleistungen der Kontrolle der Kommission entzogen. Dies würde die augenblicklichen politischen Bemühungen zur Regelung der Daseinsvorsorge (z. B. bei den Sparkassen) und andere Bereichsausnahmen überflüssig werden EuGH Ferring und EuG SIC lassen und damit einer jahrelangen Politik von Kommission und Rat widersprechen.
Vermittelnder Vorschlag
(Vertreten von GA Jacobs, Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien)
Als letztes soll noch eine vermittelnde Lösungsmöglichkeit vorgestellt werden.
Aufgrund der jeweiligen Schwächen der beiden Ansätze wird die Ansicht vertreten,
dass keiner ausschließlich anzuwenden ist. Stattdessen wird eine Differenzierung
nach Fallgruppen vorgeschlagen. Diese Kategorisierung soll sich a) nach der Art des
Zusammenhangs zwischen der gewährten Finanzierung und der auferlegten
Gemeinwohlverpflichtung und b) danach richten, wie klar diese Verpflichtung
definiert ist. Bei einem unmittelbarem und offensichtlichem Zusammenhang
zwischen Finanzierung und klar definierter Gemeinwohlverpflichtung – der
eindeutigste Fall wäre ein öffentlich-rechtlicher Vertrag – soll der Ausgleichsansatz
angewandt werden. Ist dieser Zusammenhang nicht unmittelbar oder weniger
offensichtlich, so sollen diese Fälle nach dem Beihilfeansatz beurteilt werden.
Problematisch ist, dass auch dann eine Beihilfe nicht mehr allein nach ihrer Wirkung
bestimmt wird, sondern die Form in der sie gewährt wird, die entscheidende Rolle
spielt. Schließlich ist der unmittelbare und klar definierte Zusammenhang nunmehr
entscheidend für die Einordnung. Dieses und die schwierige Unterscheidung
zwischen den beiden Fallgruppen verhindert die wünschenswerte Rechtssicherheit
und könnte zu einer Reihe von Einzelfallentscheidungen führen.
5.8.6
Nettesheim, Europäische Beihilfeaufsicht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, EWS 2002, 253 ff. Gundel, Staatliche Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interesse: Zum Verhältnis zwischen Art. 86 II EGV und dem EG-Beihilfenrecht, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 22.11.2001 - RS c-53/00 - Ferring/ACOSS, RIW 2002, 230. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.9 EuGH Concordia Bus Finland Oy Ab Christina Cathey Schütz
5.9.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 – Concordia Bus Finland Oy Ab, früher
Stagecoach Finland Oy Ab/Helsingin kaupunki u. HKL-Bussiliikenne (.), Slg. 2002
I-7213

5.9.2 Sachverhalt
Als das Beschaffungssamt der Stadt Helsinki den Betrieb des innerstädtischen
Busverkehrs öffentlich ausschrieb, bewarben sich u.a. die damalige Swebus Finland
Oy Ab (spätere Stagecoach Finland Oy Ab und dann Concordia Bus Finland Oy Ab)
und die HKL für das 6. Los der Ausschreibung, welches eine bestimmte Anzahl von
Fahrplänen betraf. Bei der Swebus handelte es sich um ein auswärtiges
Unternehmen, bei der HKL hingegen um eine Produktionseinheit der
Verkehrsbetriebe der Stadt Helsinki. In der Beurteilung der Angebote sollten drei
Gruppen von Kriterien berücksichtigt werden:
der für den Betrieb geforderte Gesamtpreis, die Qualität des Fuhrparks (Busse), und das Qualitäts- und Umweltkonzept des Verkehrsunternehmers. Die Erfüllung dieser Kriterien wurde anhand eines Punktsystems bemessen, bei dem für das buchhalterisch günstigste Angebot (den niedrigsten angebotenen Gesamtpreis) eine Maximalzahl von 86 Punke gewährt wurde. Bei der Bewertung der weiteren Kriterien wurden maximal 10 zusätzliche Punkte verliehen. Nach diesem System war es also möglich, dass ein Unternehmen zunächst weniger als 86 Punkte erhielt, weil es nicht das buchhalterisch günstigste Angebot vorlegte, dann aber aufgrund der Verleihung von Zusatzpunkten im Endergebnis eine höhere Punktzahl erreichte, als dasjenige Unternehmen, dass das buchhalterisch günstigste Angebot vorgelegt hatte. Der Zuschlag für Los 6 wurde der HKL gewährt, mit der Begründung, dass deren Angebot insgesamt das wirtschaftlich günstigste sei. Aus der Aufschlüsselung der vergebenen Punkte ergibt sich allerdings, dass nicht HKL, sondern Swebus vom Preis her das günstigste Angebot gemacht hatte. Der HKL wurden also zunächst weniger als 86 Punkte gewährt (volle 86 gingen an Swebus), jedoch holte sie Swebus bei der Punktvergabe nach den weiteren Kriterien ein. Dies war möglich, weil HKL im Gegensatz zu Swebus über einen Fuhrpark verfügte, das gasbetriebene Busse einsetzte, welche die vom Auftraggeber vorgegebene Umweltschutzkriterien erfüllten. HKL war als einzige an der Ausschreibung teilnehmende Unternehmen in der Lage, diesen Kriterien zu entsprechen. EuGH Concordia Bus Finland Oy Ab
5.9.3 Rechtliche
Probleme
Im Vorlageverfahren befasst sich der EuGH im Wesentlichen mit den folgenden drei
Fragen:
Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Auftraggeber nach Art. 36 Abs. 1 lit. a
der Richtlinie 92/50/EWG (über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Dienstleistungsaufträge) bei der Erteilung des Zuschlags – wenn der
Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt – Umweltschutzkriterien
berücksichtigen kann.
Ob der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigung von
Umweltschutzkriterien bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge deshalb
entgegensteht, weil von vorneherein feststeht, dass das eigene Unternehmen zu den
wenigen Unternehmen zählt, die in der Lage sind, eine Leistung zu erbringen, die
diesen Kriterien entspricht.
Ob sog. Querschnittsklauseln des Vertrages (z. B. Art. 6 EGV) als Kriterium für das
auch im Rahmen der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigende Allgemeininteresse zu
berücksichtigen sind.

5.9.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
In seiner Auslegung des Art. 36 Abs. 1 lit. a Richtlinie 92/50/EWG stellt der EuGH
(dem Generalanwalt Mischo folgend) fest, dass der Auftraggeber bei der Feststellung
des wirtschaftlich günstigsten Angebots Umweltschutzkriterien berücksichtigen darf,
sofern
diese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, sie diesem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich genannt sind, und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, beachtet werden. Dies gilt, obwohl Art. 36 Abs. 1 lit. a Richtlinie 92/59/EWG Umweltschutzkriterien nicht explizit nennt. Die in dieser Vorschrift enthaltene Aufzählung von Kriterien sei laut dem EuGH nicht abschließend. Bezüglich der zweiten Frage stellt der EuGH fest, dass der Umstand, dass eines der Kriterien, die der Auftraggeber zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots festgelegt hatte, nur von einer kleinen Zahl von Unternehmen erfüllt werden konnte, zu denen ein zu diesem Auftraggeber gehörendes Unternehmen zähle, als solcher keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellt. Der EuGH weist darauf hin, dass die streitigen Zuschlagskriterien in diesem Fall objektiv und ohne Unterschied auf alle Angebote anwendbar waren, dass sie nicht die einzigen in Betracht zu ziehende Kriterien darstellten, und dass Concordia bei anderen Losen dieser Ausschreibung den Zuschlag tatsächlich erhalten hatte. Die dritte Frage wird vom EuGH bejaht. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)

5.9.5 Konsequenzen
Prüfung und Praxis
Frühere Entscheidungen zum Vergaberecht betrafen vorrangig öffentliche Bau- und
Lieferaufträge. Im vorliegenden Fall werden zum ersten Mal bisherige Überlegungen
des Gerichtshofs zum Vergaberecht auf die Richtlinien über die Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge übertragen.
Neu in dieser Rechtsprechung ist die Tatsache, dass sog. Vergabefremde Kriterien
zwar nach wie vor zugelassen sind, selbst wenn sie keinen unmittelbaren
wirtschaftlichen Vorteil für den Auftraggeber entstehen lassen, diese Kriterien jedoch
nun einen Bezug zum Auftrag haben müssen. Diese Bedingung muss in künftigen
Prüfungen zum Vergaberecht berücksichtigt werden, sowie die verfahrensrechtliche
Bedingungen, die der EuGH in diesem Urteil in Bestätigung seiner früheren
Rechtsprechung aufgelistet hat.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass der dieser Rechtsprechung zugrunde liegende
Wirtschaftlichkeitsbegriff über den reinen Angebotspreis (buchhalterische Kosten)
hinausgeht und stattdessen an weitergehende Kriterien wie den effektiven
Umweltschutz anknüpft. Das im Vergabeverfahren in Helsinki angewandte
Punktesystem schafft bei der Bemessung von Wirtschaftlichkeit die notwendige
Transparenz und könnte auch andernorts verwendet werden.
Da die Vergaberichtlinien in nächster Zeit neu kodifiziert werden sollen, könnte die
neue Auslegung der RL 92/50/EWG obsolet werden.
5.9.6 Literatur/Leitentscheidungen
EuGH, Urt. v. 20.9.1988 – Rs. 31/87 – Beentjes, Slg. 1988 4635; EuGH, Urt. v.
28.3.1995 – Rs. C-324/93 – Evans Medical und Macfarlan Smith, Slg. 1995 I-563;
EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs. C-225/98 – Kommission/Frankreich, Slg. 2000 I-
7445
Steinberg, Anmerkung zu EuGH – Concordia Bus Finland Oy Ab, EuZW 2002, 634
f.; Bungenberg/Nowak, Europäische Umweltverfassung und EG-Vergaberecht – zur
Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen bei der Zuschlagserteilung, ZUR 14,
2003, 10 ff.
EuG Jégo-Quéré EuGH Unión de Pequenos Agricultores 5.10 EuG Jégo-Quéré EuGH Unión de Pequenos Agricultores Annekathrin Siebert/Jana Ulbrich Art. 230 EGV
5.10.1 EuG Jégo-Quéré

5.10.1.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuG, Urt. v. 23.5.2002 – Rs. T-177/01 – Jégo-Quéré et Cie SA/Kommission der
EG, Slg. 2002 II-2365 (EuZW 2002, 412 ff.)
5.10.1.2 Sachverhalt
Da südlich von Irland der Bestand an Seehechten dramatisch abgenommen hatte,
erließ die Kommission mit Verordnung EG Nr. 1162/2001 vom 14.6.2001
Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Seehechtsbestandes. U. a. wurde für
bestimmte Fanggebiete die Verwendung von Netzen mit größeren
Mindestmaschenöffnungen (10 cm) vorgeschrieben, und zwar unabhängig von der
Fischart, deren Fang das einzelne Fischereifahrzeug gezielt betreibt (Art. 3 lit. d i.V.
m. Art. 5 der Verordnung).
Die französische Fischfang-Reederei Jégo-Quéré et Cie SA ist in dem von der
vorbezeichneten Regelung erfassten Bereich tätig. Jedoch ist sie nicht auf den Fang
von Seehechten, sondern – als einzige Reederei in dieser Region – von Wittlingen
spezialisiert und verwendet dazu Netze mit einer Maschenweite von nur 8 cm.
Aufgrund der Anwendung o. g. Vorschriften sind ihre Fänge stark zurückgegangen.
Gem. Art. 230 Abs. 4 EGV erhob sie Klage auf Nichtigerklärung der Art. 3 lit. d.
und 5 der o. g. Verordnung. Hiergegen legte die Kommission gem. Art. 114 § 1
VerfO EuG Einrede der Unzulässigkeit ein.
5.10.1.3 Rechtliches Problem
Die Kommission stützte ihre Einrede darauf, dass die Klägerin nicht gemäß Art. 230
Abs. 4 EGV klagebefugt sei. Die Klagebefugnis wird – wenngleich der Wortlaut des
Art. 230 Abs. 4 EGV nur von Entscheidungen ausgeht – auch bei Verordnungen
bejaht, sofern diese den Kläger unmittelbar und individuell betreffen.
Fraglich war vorstehend allein, ob die Klägerin von der Verordnung individuell
betroffen ist. Dies ist nach den Kriterien der bislang vom Gerichtshof vertretenen
Plaumann-Formel (EuGH, Urt. v. 15.7.1963 – Rs. 25/62 – Plaumann, Slg. 1963, 211
ff.) dann der Fall, wenn die angegriffene Verordnung eine klagende Partei wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller
übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher
Weise individualisiert wie den Adressaten einer Entscheidung. Bejaht wurde dies
zudem beim Vorliegen bestimmter Fallgruppen, z. B. bei Wahrnehmung von
Verfahrensrechten (EuGH, Urt. v. 25.10.1977 – Rs. 26/76 – Metro/Kommission,
Slg. 1977, 1875), Sammelentscheidungen (EuGH, Urt. v. 11.6.1992 – Rs. C-358/89 –
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Extramet-Industrie/Rat, Slg. 1992 I-3813) bzw. dem Eingriff in besondere Rechte (EuGH, Urt. v. 18.5.1994 – Rs. C-309/89 – Cordorniu/Rat, Slg. 1994, 1853). Das EuG stellt jedoch fest, dass die Klägerin bei Anwendung dieser Kriterien nicht als individuell betroffen angesehen werden kann. Dies ergebe sich vor allem auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin die einzige betroffene Reederei sei, da die Regelungen sie nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Wittlingfischer mit einer bestimmten Fangtechnik beträfen und daher wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer belasten, der sich tatsächlich oder potentiell in der gleichen Lage befinde. Jedoch wies die Klägerin darauf hin, dass sie für den Fall der Unzulässigkeit ihrer Klage nirgendwo sonst Rechtsschutz erlangen und die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften überprüfen lassen könne, und zwar weder vor einem europäischen Gericht noch – mangels nationaler Durchführungsmaßnahmen – vor dem Gericht eines Mitgliedstaates. Für das EuG stellte sich daraufhin die Frage, ob es zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes notwendig sei, den Begriff der individuellen Betroffenheit neu auszulegen. 5.10.1.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung Um wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, kommt das EuG in ausdrücklicher Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu dem Schluss, dass als individuell betroffen anzusehen ist, wer von einer Gemeinschaftsbestimmung, die ihn unmittelbar betrifft, in seiner Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt wird, weil sie seine Rechte einschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Nach Auffassung des Gerichts setze der Begriff der individuellen Betroffenheit nicht zwingend die Verletzung individueller, subjektiver Rechte im Sinne der Plaumann-Formel voraus, sondern müsse vielmehr im Licht der Art. 6 und 13 EMRK, des Art. 47 Grundrechtscharta der Europäischen Union sowie der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ausgelegt werden. Daraus ergebe sich das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem zuständigen Gericht. Somit stellte sich für das EuG die Frage, ob die mit der bisherigen Rechtsprechung verbundene Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage der Klägerin das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nehmen würde. Immerhin ist die zumindest inzidente Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Gemeinschaftsaktes auch im Weg des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EGV bzw. durch Klage auf außervertragliche Haftung gem. Art. 235 und 288 EGV möglich. Beide Rechtsbehelfe betrachtete das EuG jedoch nicht als adäquaten Weg, wirksamen Rechtsschutz zu erlangen. Zum einen könne es dem Einzelnen (beim Vorabentscheidungsverfahren) nicht zugemutet werden, zunächst gegen das Gesetz zu verstoßen, um Zugang zu den Gerichten zu erlangen, zum anderen bleibe der fehlerhafte Rechtsakt (bei der Klage auf außervertragliche Haftung) bestehen. Um die somit bestehenden Rechtsschutzlücken zu schließen, hielt es das EuG im Ergebnis für an der Zeit, von der bisherigen engen Auslegung des Kriteriums der individuellen Betroffenheit abzugehen und kommt zu oben genannte Definition. Bezogen auf den vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Klägerin durch die oben genannten Vorschriften Pflichten auferlegt werden, nämlich nur Netze mit EuG Jégo-Quéré EuGH Unión de Pequenos Agricultores
bestimmten Maschenöffnungen zu verwenden. Somit ist sie individuell betroffen und
die Unzulässigkeitseinrede der Kommission abzuweisen.
5.10.2 EuGH Unión de Pequenos Agricultores

5.10.2.1 Entscheidung mit Fundstelles
EuGH, Urt. V. 25.7.2002 – Rs. C-50/00 – Unión de Pequenos Agricultores / Rat der
EU, Slg. 2002 I-6677 (EuZW 2002, 529 ff.)
5.10.2.2 Sachverhalt
Die Klägerin, ein Berufs- und Interessenverband von kleinen spanischen
Landwirtschaftsbetrieben (UPA), erhob Klage auf teilweise Nichtigerklärung der
Verordnung (EG Nr. 1638/98) zur Änderung der Verordnung (EWG Nr. 136/66)
über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette vor dem EuG.
Die UPA wehrte sich dagegen, dass mit der angegriffenen Verordnung, durch welche
die gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl nachhaltig verändert wurde, die
Beihilfen für Olivenöl erzeugende Kleinbauern abgeschafft wurden. Das EuG wies
die Klage mit der Begründung des Fehlens der individuellen Betroffenheit als
offensichtlich unzulässig (Art. 111 VerfO EuG) ab (EuG, Entscheidung v.
23.11.1999 – Rs. T-173/98 – UPA, 1999 II-3357). Durch Einlegung eines
Rechtsmittels vor dem EuGH nach Art. 49 EGV Satzung beantragt die Klägerin die
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, das heißt die Zulässigkeitserklärung ihrer
Klage und Zurückverweisung der Sache an das EuG.
5.10.2.3 Rechtliches Problem
Das EuG stellte zum einen fest, dass die UPA nicht aus eigenem Recht klagen
könne. Zwar ist anerkannt, dass eine Klage von Vereinigungen dann zulässig ist,
wenn 1) eine Rechtsvorschrift berufsständischen Vereinigungen ausdrücklich eine
Reihe von Verfahrensrechten einräumt, 2) die Vereinigung die Interessen von
Unternehmen wahrnimmt, die selbst klagebefugt sind oder 3) die Vereinigung
individuell betroffen ist, da sich die angefochtene Handlung auf ihre eigenen
Interessen als Vereinigung auswirkt . Vorliegend konnte sich UPA aber auf keine der
Voraussetzungen berufen. Zum anderen verneinte das EuG unter Anwendung der
Plaumann-Formel die Voraussetzungen der Klagebefugnis der Mitglieder von UPA.
Die Klägerin wehrte sich mit dem Rechtsmittel jedoch nicht gegen die Feststellungen
des EuG, nach denen sie weder aus eigenem noch aus abgeleitetem Recht ihrer
Mitglieder aktivlegitimiert sei. Vielmehr konzentrierte sich die UPA mit ihrem
Rechtsmittel auf die Frage, ob die Nichtigkeitsklage – in Abweichung von den
bislang angenommenen Voraussetzungen – auch dann zulässig ist, wenn andernfalls
die Mitglieder der Vereinigung keinen wirksamen Rechtsschutz im betreffenden
Mitgliedsstaat erlangen können. Die Rechtsmittelführerin stützte sich hierbei auch
auf das Urteil Greenpeace, welches sich im Umkehrschluss so auslegen lasse, dass die
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Zulässigkeit einer nach Art. 230 EGV erhobene Nichtigkeitsklage dann bejaht werden müsse, wenn kein nationaler Rechtsbehelf gegeben sei (EuGH, Urt. v. 2.4.1998 – RS. C-321/95 P – Greenpeace, Slg. 1998, I-1651). Das nahm der zuständige Generalanwalt Jacobs zum Anlass, in seinen Schlussanträgen entgegen der bisherigen Auffassung des EuGH eine grundsätzliche Kehrtwendung in der Rechtsprechung zur Aktivlegitimation nach Art. 230 Abs. 4 EGV anzumahnen. Er sieht den Schlüssel zur Lösung des Problems der Gewährleistung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Begriff der subjektiven Betroffenheit selbst. Es soll nicht zwingend erforderlich sein, dass sich der Einzelne aus dem Kreise der übrigen Betroffenen herausheben muss. Vielmehr wäre die subjektive Betroffenheit dann gegeben, wenn die Handlung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder haben kann. Es stellt sich also die Frage, ob die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage auch dann bejaht werden kann, wenn dem Betroffenen in seinem Mitgliedstaat ein effektiver Rechtsschutz versagt wird. 5.10.2.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung Der EuGH stellt zunächst fest, ohne zur Position des Generalanwalts Stellung nehmen zu müssen, dass die subjektive Betroffenheit der Mitglieder der UPA durch die angegriffene Verordnung nach der Plaumann-Formel nicht gegeben ist. Da die UPA vorliegend jedoch eine mögliche Verletzung des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes geltend machte, war zu überprüfen, ob eine Auslegung der Voraussetzung im Lichte dieses Grundrechts vorgenommen werden müsste. Aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten sowie aus Art. 6, 13 EMRK muss dem Einzelnen grundsätzlich das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährt werden. Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass der EGV selbst zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe ein ausgewogenes Rechtsschutzsystem (Art. 234, 241 EGV) enthält. Nach dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit (Art. 10 EGV) ist es Aufgabe der Mitgliedsstaaten, durch ihre nationalen Gerichte die Einhaltung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Und gerade weil es Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, sieht sich der EuGH außerstande, dem durch die UPA vorgeschlagenen Rechtsprechungswandel zu folgen und eine generelle Anfechtbarkeit von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung zu bejahen, wenn der effektive gerichtliche Rechtsschutz durch die Mitgliedsstaaten nicht gewährleistet wurde. Dies würde angesichts des Wortlauts der Verträge an die Grenzen seines Richterrechts stoßen. Die Voraussetzungen der Klagebefugnis sind objektiv bestimmt und nehmen keinen Bezug auf das Vorhandensein oder Fehlen von alternativen Rechtsbehelfen vor nationalen Gerichten. Würde der EuGH eine solche Auslegung vornehmen, bedeutete dies, dass in jedem Einzelfall die Überprüfung des nationalen Verfahrensrecht durch den Gemeinschaftsrichter erfolgen müsste, was wiederum den Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftshandlungen überschreiten würde. Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass keine Befugnis besteht, über die Auslegung und Gültigkeit von nationalem Recht zu entscheiden. EuG Jégo-Quéré EuGH Unión de Pequenos Agricultores
Darüber hinaus dürfe das Wort „individuell" nicht in einer Weise ausgelegt werden,
die es zu vollkommener Bedeutungslosigkeit verkommen lasse. Denn eine Auslegung
im Sinne der Rechtsmittelführerin hätte zur Folge, dass eine Nichtigkeitsklage gegen
eine Verordnung auch dann zulässig wäre, wenn der Einzelne nicht von ihr betroffen
ist.
Somit ist im Ergebnis durch den Gerichtshof festgestellt worden, dass die o.g.
Auslegung zwar zulässig ist. Jedoch werden die Grenzen dort gezogen, wo eine
solche Auslegung zum Wegfall der ausdrücklich im Vertrag vorgesehenen
Voraussetzung führt, da sonst die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag
verliehenen Befugnisse überschritten würden. Die Reformation des geltenden
Systems hat demnach gem. Art. 48 EUV durch die Mitgliedsstaaten zu erfolgen. Der
EuGH bestätigt demzufolge seine bisherige Rechtsprechung, wonach es Sache der
Mitgliedsstaaten sei, ein System von Rechtsbehelfen vorzusehen, mit dem effektiver
gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet wird.

5.10.3 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Ist die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage gegen eine allgemein geltende Verordnung
zu prüfen, sollte bei der Klagebefugnis eine Darstellung der divergierenden
Ansichten von EuG und EuGH erfolgen.
Pro weite Auslegung
Einerseits ist hier (im Sinne des EuG und des Generalanwalts) ein umfassender
Rechtsschutz nur durch effektiven Rechtsschutz gewährleistet. Effektivität ist jedoch
dann nicht gegeben, wenn die Rechtsschutzlücke nicht durch einen anderen
Rechtsbehelf von gleichem Wert ausgeglichen wird.
Das Vorabentscheidungsverfahren jedoch stellt nur einen indirekten Rechtsschutz
für den Einzelnen dar. Die Entscheidungsbefugnis über die Vorlage liegt
ausschließlich beim nationalen Gericht, die Parteien des Ausgangsverfahrens besitzen
kein eigenes Antragsrecht, sondern können nur anregen. Eine Schadensersatzklage
dagegen verweist auf den sekundären Rechtsschutz, damit kann jedoch nicht gegen
die verletzenden Rechtsakte vorgegangen werden.
Für die Erweiterung der Nichtigkeitsklage im o. g. Sinne spricht, dass eine allgemeine
Handlung so früh wie möglich überprüft wird und dass der gerichtliche Rechtsschutz
erheblich verbessert würde, da Handlungen in dem Rahmen behandelt würden,
welches am besten für ihre Lösung geeignet sind; das Organ, welches die
angefochtene Handlung erlassen hat, wäre von Anfang bis Ende als Partei beteiligt.
Zudem führt eine Direktklage zu einem vollständigen Austausch der Argumente,
während das Vorabentscheidungsverfahren es bei einmaligen Stellungnahmen
genügen lässt.
Contra weite Auslegung
Zum anderen ist nach Ansicht des EuGH die weite Auslegung abzulehnen, da sonst
die Wortlautgrenze des Art. 230 Abs. 4 EGV überschritten wird. Es handelt sich
hierbei nämlich nicht um eine Form des Rechtsschutzes gegen echte Verordnungen,
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
sondern nur gegen Entscheidungen in Form einer Verordnung. Durch die bisherige
restriktive Auslegung im Sinne der Plaumann-Formel sollte gerade sichergestellt
werden, dass eine Nichtigkeitsklage nur bei Vorliegen einer solchen
„Scheinverordnung" zulässig ist. Dem wird die weite Auslegung nicht gerecht. Zwar
scheint eine direkte Klagemöglichkeit auch gegen allgemeine Verordnungen aus Sicht
des Einzelnen wünschenswert. Hierzu wäre aber eine Reform des
Rechtsbehelfssystems notwendig. Dies ist jedoch – wie auch vom EuGH ausgeführt
– gem.äß Art. 48 EUV einzig und allein Sache der Mitgliedstaaten.
5.10.4 Literatur/Leitentscheidungen
Köngter, Erweiterte Klageberechtigung bei Individualnichtigkeitsklagen gegen EG-
Verordnungen NJW 2002, 2216 ff.; Schneider, Es gibt noch Richter in Luxemburg,
NJW 2002, 2927 ff.; Calliess/Lais, Anmerkung zum Urteil, ZUR 2002, 345 ff.;
Schwarze, Der Rechtsschutz Privater dem Europäischen Gerichtshof: Grundlagen,
Entwicklungen und Perspektiven des Individualschutzrechtes im
Gemeinschaftsrecht, DVBl. 2002, 1297 ff.; Feddersen, Anmerkung zum Urteil, EuZW
2002, 532.
EuGH Lyckeskog 5.11 EuGH Lyckeskog Nina Hüfken Art. 234 EGV

5.11.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 4.6.2002 – Rs. C-99/00 – Kenny Roland Lyckeskog, Slg. 2002 I-
4839 (EuZW 2002, 476)
5.11.2 Sachverhalt
Ausgangsverfahren
In einem Verfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht in Schweden war Herr
Lyckeskog wegen versuchten Warenschmuggels von 500 kg Reis aus Norwegen
verurteilt worden. Im Berufungsverfahren vor dem Hövratt för Västra Sverige
(Berufungsgericht für Westschweden) machte dieser geltend, dass das
erstinstanzliche Gericht die in der Verordnung (EWG) Nr. 918 / 83 des Rates
normierten Ausnahmetatbestände zur Befreiung vom Gemeinsamen Zolltarif
europarechtswidrig ausgelegt hätte.
Vorlagefragen
Das Berufungsgericht legte daraufhin dem Gerichtshof mit Beschluss vom 9. März
2000 vier Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV vor, von denen sich
zwei Fragen mit der Auslegung der oben genannten Verordnung und somit mit
einzelnen Regelungen zum Gemeinsamen Zolltarif beschäftigen, weshalb diese
Fragen hier nicht näher behandelt werden.
Die ersten beiden Fragen betreffen dagegen Art. 234 Abs. 3 EGV und beziehen sich
auf den Begriff des letztinstanzlichen nationalen Gerichts, welches eine
Vorlagepflicht trifft, und auf den Umfang dieser Verpflichtung.
So möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen, ob es aufgrund der
Tatsache, dass gegen seine Urteile zwar ein Rechtsmittel beim Högsta Domol
(Obersten Gericht) eingelegt werden könne, dessen sachliche Prüfung aber von einer
Zulassungserklärung des zuletzt genannten Gerichts abhängt, als Gericht im Sinne
von Art. 234 Abs. 3 zu qualifizieren sei.
Mit seiner zweiten Frage erkundigt es sich danach, ob ein Gericht im Sinne von Art.
234 Abs. 3 EGV davon absehen kann, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu
ersuchen, wenn ihm klar ist, wie die in dem Rechtsstreit aufgeworfenen
gemeinschaftsrechtlichen Fragen zu beantworten sind, auch wenn sie nicht unter die
Lehre vom acte claire oder acte éclairé fallen.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
5.11.3 Rechtliche Probleme
Begriff des letztinstanzlichen Gerichts im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EGV (1. Vorlagefrage)
Bezüglich der Frage, welche Gerichte unter Art. 234 Abs. 3 EGV fallen, ist
umstritten, ob von der Vorlagepflicht nur die obersten nationalen Gerichte, deren
Entscheidungen generell unanfechtbar sind (sog. abstrakte Betrachtungsweise), oder
alle Gerichte, die in dem konkreten Verfahren letzte Instanz sind (sog. konkrete
Betrachtungsweise), betroffen sind. Der Gerichtshof hat sich aufgrund des Zwecks
des Vorabentscheidungsverfahrens, welches die Einheitlichkeit der Anwendung des
Gemeinschaftsrechts sicherstellen soll, schon frühzeitig für eine Auslegung im Sinne
der zweiten Alternative entschieden (vgl. EuGH, Urt. v. 24.5.1977 – Rs. 107/76 –
Hoffmann-La Roche, Slg. 197, 957 ff.; EuGH, Urt. v. 4.11.1997 – Rs. C-337/95 –
Parfums Christian Dior, Slg. 1997, I-6013 ff.). Allerdings ergeben sich aus der
bisherigen Rechtsprechung keine Aussagen zur Bestimmung des abschließenden
Charakters einer gerichtlichen Entscheidung und der Rechtsmittel, welche eine
derartige Endgültigkeit ausschließen können.
Nach seiner Verfahrensordnung kann das Oberste Gericht in Schweden eine
Zulassungserklärung nur abgeben, wenn dies für die einheitliche Rechtsanwendung
wichtig ist oder besondere Gründe für die Prüfung des Rechtsmittels vorliegen (vgl. §
132 VwGO). Nach den Ausführungen des vorlegenden Berufungsgerichts gehöre
hierzu insbesondere nicht ein nicht schwerwiegender Fehler bei der Auslegung oder
Anwendung des Gemeinschaftsrechts. In der Praxis erfolgt eine Zulassung jährlich
nur in 3 bis 4 % der Fälle, in denen ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, weshalb
das Gericht der Auffassung ist, praktisch letztinstanzlich zu entscheiden.
Ausnahmen von der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV (2. Vorlagefrage)
Die zweite Frage bezieht sich offensichtlich auf die sogenannte CILFIT-
Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die Vorlagepflicht in drei
Konstellationen entfällt. Dies ist zunächst der Fall, wenn die betreffende Frage nicht
entscheidungserheblich ist, ferner wenn der Gerichtshof bereits zu der Frage
entschieden hat (acte éclairé), und schließlich, wenn die richtige Anwendung des
Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen
vernünftigen Zweifel bleibt (acte claire). Letzteres ist nur unter engen
Voraussetzungen zu bejahen, insbesondere muss das nationale Gericht unter
Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts und der aus den
verschiedenen sprachlichen Fassungen resultierenden Auslegungsschwierigkeiten
davon ausgehen, dass objektiv auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedsstaaten
und den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde (vgl. EuGH, Urt. v. 6. 10.1982 – Rs.
283/81 – CILFIT, Slg. 1982, 3415 ff.). Diese Voraussetzungen sind nach eigenen
Ausführungen des schwedischen Berufungsgerichts im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Aufgrund der Überbelastung des Gerichtshofs und der mit einer Vorlage
verbundenen übermäßigen Verfahrensdauer wird allerdings unter Bezug auf eine
wachsende Vertrautheit der nationalen Gerichte mit dem Gemeinschaftsrecht
teilweise eine Lockerung dieser Rechtsprechung gefordert (vgl. Schlussanträge des
Generalanwalts Jacobs zu EuGH, Urt. v. 20.11.1997 – Rs. C-338/95 - Wiener, Slg.
1997, I-6495 ff. und den Abschlussbericht der Studiengruppe für das künftige
Gerichtssystem der Europäischen Gemeinschaften, Januar 2000).
EuGH Lyckeskog
5.11.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Begriff des letztinstanzlichen Gerichts im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EGV (1. Vorlagefrage)
In Bezug auf die erste Frage bekräftigt der Gerichtshof zunächst, dass von der
Vorlagepflicht in Art. 234 Abs. 3 EGV alle Gerichte betroffen sind, deren
Entscheidungen nicht mehr mit (ordentlichen) Rechtsmitteln angegriffen werden
können. Dies sei vorliegend aber gerade nicht der Fall. Der Umstand, dass eine
solche Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste
Gericht in der Sache geprüft werden kann, führe nicht dazu, dass den Parteien das
Rechtsmittel entzogen werde. Die Einheitlichkeit der Anwendung des
Gemeinschaftsrechts sei insbesondere durch die Möglichkeit, dem Gerichtshof
bereits auf der Stufe der Zulässigkeitsprüfung Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen, gewahrt.
Ausnahmen von der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV (2. Vorlagefrage)
In Bezug auf die zweite Frage beschäftigt sich der Generalanwalt Tizzano ausführlich
mit den für eine Lockerung der Rechtsprechung zum acte claire vorgebrachten
Argumenten, lehnt eine solche aber wegen des fundamentalen Charakters der
Vorlagepflicht im Zusammenhang mit der Gerichtsverfassung der Gemeinschaft und
der Gefahr der Uneinheitlichkeit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, welche
eine Versubjektivierung der Kriterien beinhalte, ab.
Der Gerichtshof stellt insofern lediglich fest, dass sich die Beantwortung der zweiten
Frage im vorliegenden Fall angesichts der Antwort auf die erste Frage und der
Tatsache, dass nach schwedischem Recht das oberste Gericht im Rahmen eines bei
ihm gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts eingelegten Rechtsmittels eine
Vorabentscheidungsfrage vorlegen könne, erübrige.
5.11.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Hinsichtlich der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs.3 EGV ist somit geklärt, dass sich
diese zumindest nach Ansicht des EuGH nicht bereits aus dem Erfordernis einer
Zulassungserklärung auf der Ebene der nächsten Instanz ergibt.
Allerdings erscheint der Hinweis auf die Möglichkeit, Vorlagefragen an den
Gerichtshof bereits auf der Ebene der Zulässigkeitsprüfung zu stellen, nicht
unproblematisch. Auslegungsfragen oder Gültigkeitsfragen des Gemeinschaftsrechts
lassen sich auch im deutschen Recht nur schlecht unter die in § 132 Abs. 2 VwGO
normierten Revisionsgründe subsumieren, so dass die Revision nicht allein aus diesen
Gründen zulässig ist. Andererseits hätte aber die vom EuGH vorgeschlagene
Lösung, gemeinschaftsrechtliche Fragen bereits in dieser prozessualen Phase
vorzulegen, eine Vermischung prozessualer und materiellrechtlicher Aspekte zur
Folge. Dieses Problem lässt sich hingegen vermeiden, wenn man § 132 VwGO
europarechtskonform so auslegt, dass Zweifel hinsichtlich der Auslegung oder
Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht die Zulässigkeit der Revision begründen, so dass
entsprechende Vorlagefragen dann im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der
Klage zu stellen sind (vgl. insofern auch die Ausführungen des Generalanwalts
Tizzano in Rn. 44-47)
In Bezug auf die zweite Frage hat der Gerichtshof dagegen die Gelegenheit nicht
genutzt, sich zur weiteren Gültigkeit der CILFIT-Rechtsprechung zu äußern. Somit
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
kann die Notwendig einer Lockerung im obigen Sinne zwar diskutiert werden, zum
jetzigen Zeitpunkt ist jedoch davon auszugehen, dass der EuGH an den strikten
Kriterien festhält.
Konsequenzen einer Verletzung der Vorlagepflicht ergeben sich einerseits auf
europäischer Ebene in Form der Möglichkeit der Kommission und der anderen
Mitgliedstaaten, ein Vertragsverletzungsverfahren im Sinne von Art. 226, 227 EGV
einzuleiten. Aus innerstaatlicher Sicht kann eine Verletzung der Vorlagepflicht
außerdem die Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG
verletzen und eine Verfassungsbeschwerde begründen.
5.11.6 Literatur/Leitentscheidungen
EuGH, Urt. v. 24.5.1977 – Rs. 107/76 – Hoffmann-LA ROCHE, Slg. 1977, 957 ff.;
EuGH, Urt. v. 4.11.1997 – Rs. 283/81 – CILFIT, Slg. 1982, 3415 ff.; Schlussanträge
des GA Jacobs zu EuGH, Urt. v. 20.11.1997 – Rs. C-338/95 - Wiener, Slg. 1997, I-
6495 ff.
Groh, Auslegung des Gemeinschaftsrechts und Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV,
EuZW 2002, 460 ff.; Mayer, Das Bundesverfassungsgericht und die Verpflichtung zur
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, EuR 2002, 239 ff.
BVerfG Teilzeitarbeit 5.12 BVerfG Teilzeitarbeit Irené Elena Suominen Art. 234 EGV

5.12.1 Beschluss und Fundstelle
BVerfG, Beschluss vom 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99 – Teilzeitarbeit
5.12.2 Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (Bf), eine Ärztin, strebt aufgrund einer Teilzeitqualifizierung in
einer Allgemeinarztpraxis die Anerkennung als Praktische Ärztin an. Nach den
arztrechtlichen Richtlinien ( 93/16/EWG, 86/457/EWG, 75/363/EWG ) muss die
hierfür erforderliche Ausbildung teilweise in einer Vollzeitbeschäftigung sowohl im
Krankenhaus als auch bei einem niedergelassenen Arzt erfolgen, während für alle
Facharztausbildungen, auch für diejenige in Allgemeinmedizin, die Mitgliedstaaten
u.U. auch Teilzeitqualifikationen zulassen können.
Nach erfolglosen Klagen in allen Instanzen erhob die Bf Verfassungsbeschwerde
beim BVerfG über die Frage, ob das BVerwG verfassungsrechtlich verpflichtet war,
dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorzulegen, wie die Vollzeiterfordernis für
bestimmte Qualifizierungsabschnitte unter Berücksichtigung der Richtlinie
76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von
Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur
Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen zu verstehen sei.
5.12.3 Rechtliches Problem
Das BVerwG (BVerwGE 108, 229) hat die Zurückweisung der Revision damit
begründet, dass nach den Ärzterichtlinien eine Vollzeitbeschäftigung für die
Qualifizierung zur Praktischen Ärztin eindeutig vorgeschrieben wäre. Diese kämen
hier nach den allgemeinen Grundsätzen der Spezialität und Priorität allein zur
Anwendung und verdrängten damit die Gleichbehandlungsrichtlinie. Damit hätte
wegen der eindeutigen Rechtslage keine Vorlagepflicht des Gerichts beim EuGH
bestanden. Dem BVerfG oblag es nun zu klären, ob dieser Auffassung über das
Nichtvorhandensein einer Vorlagepflicht zu folgen sei.
5.12.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Das BVerfG hat die Entscheidung des BVerwG aufgehoben, weil sie gegen den in
Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verankerten Anspruch auf den gesetzlichen Richter verstößt.
Das BVerfG hat mehrfach festgestellt, dass der EuGH gesetzlicher Richter im Sinne
des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist und es einen Entzug desselben darstellt, wenn ein
nationales Gericht seiner Vorlagepflicht beim EuGH im Wege des
Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (BVerfGE 73, 339 (366); 82, 159
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) (194 ff.); BVerfG, NVwZ 1997, 481; BVerfG, DB 1998, 1919). Nach dieser Rechtsprechung wird die Vorlagepflicht insbesondere dann unhaltbar gehandhabt, wenn: ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlageplicht grundsätzlich verkennt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vorliegt eine vorliegende Rechtsprechung die Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat das letztinstanzliche Gericht den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum bzgl. der Vorlagepflicht in unvertretbarer Weise überschritten hat Im vorliegenden Fall stellt das BVerfG fest, dass eine Vorlagepflicht des BVerwG aus zwei Gründen bestand: 1. Zum einen hat es die Frage der Kollision zwischen der Gleichberechtigungsrichtlinie und den Ärzterichtlinien allein nach nationalen Maßstäben beurteilt. Es hat sich nicht erkennbar mit der vorhandenen Rechtsprechung des EuGH zur Problematik von Richtlinienkollisionen auseinandergesetzt und damit die Bedingungen einer Vorlagepflicht verkannt. Der Begriff des Europäischen Rechts umfasst nicht nur materielle Rechtsnormen, sondern auch die Methodenwahl. Denn die Wahl der Methode entscheidet auch darüber, welche Rechtsnorm sich im Konfliktfall durchsetzt und damit materiell gilt. 2. Zum anderen hat das BVerwG nicht in Betracht gezogen, dass es abgesehen von der spezifischen Gleichbehandlungsrichtlinie auch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter mit Geltung als primäres Gemeinschafts(grund)recht geben könnte. Auch diese Überlegung hätte eine Vorlage erforderlich gemacht. Denn der Grundrechtsschutz der Bf wäre nicht mehr gewährleistet, wenn das BVerfG mangels Zuständigkeit keine materielle Prüfung anhand der Grundrechte vornehmen könne (Solange II, BVerfGE 73, 339 (383 ff.)) und der EuGH mangels Vorabentscheidungsersuchens nicht die Möglichkeit dazu erhielte.
5.12.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Mit seiner Entscheidung hat das BVerfG die Vorlagepflicht der Fachgerichte für den
Fall der Grundrechtswesentlichkeit betont. Damit kommt der Entscheidung eine
große Bedeutung für den Individualgrundrechtsschutz zu. Das BVerfG ist hier von
seiner „Willkürformel" abgerückt. Damit gilt im Grundrechtsbereich ein anderer
Maßstab für die Vorlageverpflichtung als in den anderen Fällen. Somit kann nun
zumindest für Deutschland davon ausgegangen werden, dass hier – durch BVerfG
und EuGH kooperativ – auch ohne Grundrechtsbeschwerde ein lückenloses
Rechtsschutzsystem geschaffen wurde.
5.12.6 Literatur/Leitentscheidungen
Urteil des Gerichtshofes vom 22. Februar 1984 in der Rechtssache 70/83,
Kloppenburg, Slg. 1984, 107 sowie BVerfGE 75, 223 - Kloppenburg.
BVerfG Teilzeitarbeit Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.13 EuGH Grzelczyk Philipp Steinberg/Ralf Kanitz/Dietrich Felgner

5.13.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 20.9.2001 – Rs. C-184/99 – Rudy Grzelczyk, Slg. 2001 I-6193 (EuZW
2002, 52 ff.)
5.13.2 Sachverhalt
Herr G. ist Franzose – er siedelt nach Belgien über, um dort an einer katholischen
Universität Sport zu studieren. Bis zu seiner Abschlussarbeit geben ihm kleinere Jobs
Nahrung und Wohnung. Dann fesselt ihn die Studienarbeit an den Schreibtisch und
er wird bedürftig. In Belgien sichert Minimex das Überleben eines armen Studenten
und selbiges begehrt G. - für ein Jahr. Seinem Antrag wird zunächst entsprochen,
Minimex steht ihm zur Seite. Indes versagt ihm die staatliche Selbstkontrolle die
Unterstützung letztlich mit dem Argument, dass es Minimex nur für Belgier gebe. Es
fehle dem G. an der entsprechenden Staatsangehörigkeit.
Dagegen klagt G. Das Gericht legt dem EuGH darauf hin vor und erlässt den
vorläufigen Beschluss, dass dem G. aufgrund seiner Notsituation Sozialhilfe zusteht.
5.13.3 Rechtliches Problem
Verstößt die Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit gegen die Art. 12,
17 und 18 EGV?
5.13.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Der EuGH geht davon aus, dass G. mangels Arbeitnehmereigenschaft nicht in den
Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der RL 1612/68 und auch
nicht unter die Studentenrichtlinie fällt. Eine sozialrechtliche Gleichstellung von
Nicht-Arbeitnehmern ließ sich also nur über Art. 12 EG vornehmen. Der
Gerichtshof lässt neben Primärrecht auch Sekundärrecht zur Eröffnung des
Anwendungsbereichs des Vertrages im Sinne von Art. 12 EG ausreichen.
Entscheidend ist demnach, ob eine Situation in den Anwendungsbereich des
Gemeinschaftsrechts fällt, wobei Berührungspunkte genügen. Insbesondere kommt
es auf eine spezielle Gemeinschaftskompetenz für den betroffenen Sachbereich selbst
nicht an. Eine solche gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation kann vor allem durch
die Anwendung der Richtlinien über das (allgemeine) Aufenthaltsrecht sowie das
Aufenthaltsrecht für Rentner und Studenten geschaffen werden. Gleichzeitig können
Vertragsbestimmungen und Sekundärrecht jedoch „Bedingungen" für den Gebrauch
EuGH Grzelczyk
des Rechts auf Freizügigkeit aufstellen und dieses auch beschränken (Art. 18 Abs. 1
EG) .
Der bloße rechtmäßige Aufenthalt in einem Mitgliedstaat reicht danach, um den
Anwendungsbereich des Vertrages im Sinne des Artikels 12 EG zu eröffnen. Nimmt
man als Unionsbürger folglich sein Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EG wahr,
sind nicht nur aufenthaltsbeschränkende mitgliedstaatliche Regelungen
rechtfertigungsbedürftig. Darüber hinaus vermittelt das allgemeine
Diskriminierungsgebot aus Art. 12 EG nach der vorliegenden Rechtsprechung
Anspruch auf sozialrechtliche Gleichbehandlung mit Inländern. Diese Frage kann
jedoch von dem aus Art. 18 EG begründetem Aufenthaltsrecht klar getrennt
werden. Die für den einzelnen Unionsbürger begrüßenswerte Rechtsprechung in
einem Bereich, der der positiven Integration zumindest auf Grund politischer
Widerstände entzogen ist, zeigt, dass die im Rahmen der Verfassungsdebatte geführte
Diskussion um eine „klare" Kompetenzabgrenzung zumindest zu kurz greift.
Indes kann auch ein Verstoß gegen Art. 12 EG aus objektiven, sachlichen Gründen
gerechtfertigt sein. Den Mitgliedstaaten können also das Gleichheitsgebot in Art. 12
EG beschränken, solange dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar
ist. Es wird daher vielfach eine gewisse zeitliche, räumliche, inhaltliche oder
persönliche Nähe zum Gebrauch des Freizügigkeitsrechts gefordert, damit der
Anwendungsbereich von Art. 12 hierdurch eröffnet ist, oder, weitergehend, ein
Gleichbehandlungsgebot direkt aus der Unionsbürgerschaft abgeleitet wird.
5.13.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Die Entscheidung misst der Unionsbürgerschaft, welche anfangs noch als reine
Festschreibung des „status quo" angesehen wurde, eine neue Bedeutung zu. Sie kann
in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot als „Hebel" einer
weitgehenden auch sozialrechtlichen Gleichstellung benutzt werden. Diese
Entwicklung ist für den einzelnen Unionsbürger begrüßenswert, politisch jedoch
problematisch, da hier eine Debatte über die Notwendigkeit einer „Sozialunion"
vorweggenommen wird.
5.13.6 Literatur/Leitentscheidungen
Soria, Die Unionsbürgerschaft und der Zugang zu sozialen Vergünstigungen, JZ
2002, 643 ff.; Rossi, Anmerkung zur Entscheidung, JZ 2001, 351 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.14 EuGH d'Hoop Bianca Hofmann
5.14.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – Rs. C-224/98 – d'Hoop, Slg. 2002 I-6191
5.14.2 Sachverhalte
Die Kl., belgische Staatsangehörige, schloss ihre höhere Schulausbildung in
Frankreich mit der allgemeinen Gymnasialausbildung ab; ihr französisches Diplom
wurde als dem nationalen Nachweis gleichwertig von den belgischen Behörden
anerkannt. Danach absolvierte sie ein Hochschulstudium in Belgien. Im Anschluss
daran (1996) reichte die Kl. einen Antrag auf Gewährung eines sog.
Überbrückungsgelds ein. Das Überbrückungsgeld ist für junge Arbeitslose auf der
Suche nach der ersten Beschäftigung bestimmt und beinhaltet neben einer
Geldleistung den Anspruch auf Teilnahme an verschiedenen
Beschäftigungsprogrammen. Das Office national de l'emploi (ONEM) lehnte den
Antrag mit der Begründung ab, dass die Kl. ihre Schulbildung nicht an einer
belgischen Einrichtung absolviert hatte, wie es Art. 36 Abs. 1 Uabs. 1 Nr. 2 lit. a der
Königlichen Verordnung vom 25.11.1991 voraussetzt. Die Kl. hat diese
Entscheidung beim Tribunal du travail Lüttich angefochten, das das Verfahren
ausgesetzt und im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vorgelegt
hat.
5.14.3 Rechtliches Problem
I. Sachverhalt im Anwendungsbereich des EGV
1) räumlich:
Die Kl. hatte Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat und ist in ihren Heimatstaat
zurückgekehrt.
2) sachlich:
i) Freizügigkeit der Arbeitnehmer
Art. 7 Abs. 2 VO Nr. 1612/68 (-) Kl. kann sich nicht auf die abgeleiteten Rechte berufen, die die VO Nr. 1612/68 Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern gewährt. Die Eltern der Kl. sind in Belgien wohnhaft geblieben. Auch Art. 36 Abs. 1 Uabs. 1 Nr. 2 lit. h der Königlichen Verordnung vom 25.11.1991 ist folglich nicht einschlägig. Nach ständiger Rechtsprechung setzt Art. 39 EGV voraus, dass derjenige, der sich darauf beruft, schon durch die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit EuGH d'Hoop Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden habe (EuGH, Urt. v. 12.9.1996 – Rs. C-278/94 – Kommission/Belgien, Slg. 1996 I-4307). ii) Dienstleistungsfreiheit Kl. als Empfängerin von Bildungsleistungen Unterricht als Dienstleistung (siehe EuGH Urt. v. 13.2.1985 – Rs. C- 293/83 – Gravier, Slg. 1985 593) entgeltlich?, keine Angaben mögliche Beschränkung: Belgische Schüler könnten davon abgehalten werden, in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Lehranstalten zu besuchen; eine derartige Abschreckung als Beschränkung hat der EuGH in den Entscheidungen Kohll, Smits, Peerbooms entwickelt, wobei jedoch in diesen Fällen eine direkte Verbindung zwischen der nationalen Bestimmung und der Inanspruchnahme der Leistung bestand; im vorliegenden Fall ist eher von einem nur indirekten Einfluss auszugehen, da für die Kl. erst einige Jahre nach Empfang der Dienstleistung die nationale Regelung relevant wurde. iii) Unionsbürgerschaft Fraglich ist, ob die Kl. über die Vertragsvorschriften zur Unionsbürgerschaft in den Anwendungsbereich des EGV fällt. Dann müsste der Status als Unionsbürger eigenständige Rechte verleihen. Dem früheren Konzept der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat dieser Gedanke noch nicht zugrunde gelegen. Mit der dynamischen Entwicklung hin zu einer auch politischen Union, manifestiert durch ergänzende Regelungen in der EEA, dem Maastrichter und Amsterdamer Vertrag wurde dem Einzelnen durch die Unionsbürgerschaft ein eigenständiges Gewicht verliehen. Dem folgend knüpft Art. 17 EGV an den Status eines Unionsbürgers die im Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten. Darunter fällt Art. 12 EGV mit dem Recht, im zum Zeitpunkt der Anwendung der diskriminierenden Bestimmung geltenden sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden. Die Kl. könnte als Angehörige eines Mitgliedstaats, Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGV, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufgehalten hat, um dort am Unterricht teilzunehmen, in den persönlichen Anwendungsbereich der Bestimmung fallen. Kann sich ein Unionsbürger wie im Präzedenzfall Grzelczyk (EuGH, Urt. v. 20.9.2001 – Rs. C-184/99 – Grzelczyk, Slg. 2001 I-6193) zur Abwehr von Beeinträchtigungen des Art. 18 EGV auf Art. 12 EGV berufen, sollte das Gleiche gelten, wenn sich die Person ungleich behandelt sieht, gerade weil sie von dem Recht aus Art. 18 EGV Gebrauch macht. Gegen den Einwand, dass die Kl. sich bis 1991 in dem anderen MS aufgehalten hatte, das Freizügigkeitsrecht aber erst durch den Vertrag von Maastricht am 1.11.1993 eingeführt wurde, spricht, dass der Aufenthalt sich auf die gegenwärtige Situation auswirkt, weil der Kl. deswegen das Überbrückungsgeld nicht gezahlt werden soll. Zudem gilt der Grundsatz größtmöglicher Wirksamkeit gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
Diese Überlegungen sprechen dafür, dass sich die Kl. in ihrer Situation auf die
besonderen Rechte berufen kann, die der Vertrag Unionsbürgern gewährt.
II) Vorliegen einer Diskriminierung
Zu prüfen ist, ob sich die Kl. erfolgreich auf das Verbot des Art. 12 EGV in
Verbindung mit den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft berufen
kann.
1. Tatbestand
Der EuGH hat in der Sache Grzelczyk festgestellt, dass der Vertrag Unionsbürgern,
die sich in der gleichen gemeinschaftsrechtlichen Situation befinden, Ansprüche auf
die gleiche rechtliche Behandlung einräumt. Ein belgischer Staatsangehöriger könnte
sich danach auch in seinem Heimatstaat in allen vom Gemeinschaftsrecht erfassten
Situationen auf Art. 12 EGV berufen.
Vorliegend benachteiligt der belgische Gesetzgeber die Kl., die von ihrem Recht aus
Art. 18 EGV Gebrauch gemacht hat, gegenüber den Personen, die die höhere
Schulausbildung in Belgien absolviert haben. Der EuGH sieht darin eine
Ungleichbehandlung, die der Rechtfertigung bedarf. Nach Ansicht des
Generalanwalts liegt hierin eine Diskriminierung im Sinne des Art. 12 EGV.
Gegen diese Auffassung spricht, dass keine Diskriminierung aufgrund der
Staatsangehörigkeit vorliegt, wie es Art. 12 EGV dem Wortlaut nach voraussetzt.
Das eigentliche Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV wird durch die weite
Öffnung zum Beschränkungsverbot. Um dem Grenzen zu setzen, wird teilweise
verlangt, dass nicht jede Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts ausreichen kann,
um Art. 12 EGV zu eröffnen (so GA Slynn in seinen Schlussanträgen zu EuGH,
Urt. v. 8.3.1988 – Rs. 197/86 – Brown, Slg. 1988 3205 (3230)). Vielmehr muss eine
gewisse zeitliche, räumliche oder inhaltliche Nähe zum Freizügigkeitsrecht bestehen.
Diese Nähe kann im vorliegenden Fall angezweifelt werden.
2. Rechtfertigung
Der EuGH, der von einer Ungleichbehandlung ausgeht, prüft, ob diese gerechtfertigt
werden kann. Das setzt voraus, dass sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit
unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zum
legitimen Zweck steht. Ziel der belgischen Regelung ist es, den Übergang von der
Ausbildung zum Arbeitsleben zu erleichtern und den Betroffenen ein bestimmtes
Existenzminimum zu garantieren. Diesem Ziel steht ein Ausschluss eigener
Staatsangehöriger, nur weil sie die höhere Schulbildung in einem anderen MS
absolviert haben, entgegen. Der Ausschluss ist auch nicht geeignet, um eine
tatsächliche Verbindung zum belgischen Arbeitsmarkt sicherzustellen, was gerade
vorliegend deutlich wird.
Eine Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.
5.14.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Die Entscheidung ergänzt eine Serie von Urteilen des EuGH, die den Weg zu einer
umfassenden sozialrechtlichen Gleichstellung aller Unionsbürger ebnen: EuGH, Urt.
v. 12.5.1998 – Rs. 85/96 – Sala, Slg. 1998, I-2692 (EuZW 1998, 372); EuGH, Urt. v.
24.11.1998 – Rs. 274/96 – Bickel, Slg. 1998, I-7637 (EuZW 1999, 82); EuGH, Urt. v.
EuGH d'Hoop
20.9.2001 – Rs. C-184/99 – Grzelczyk, Slg. 2001 I-6193 (EuZW 2002, 52). Danach
räumt der Vertrag Personen, die die im EGV garantierten Grundfreiheiten ausüben
und sich in der gleichen Situation befinden aufgrund ihres Status als Unionsbürger
unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit grundsätzlich Ansprüche auf die gleiche
rechtliche Behandlung ein. Es wäre mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar,
wenn der Mitgliedstaaten, dessen Staatsangehöriger er ist, ihn deshalb weniger
günstig behandeln würde, weil er von den Möglichkeiten der Freizügigkeit Gebrauch
gemacht hat. Das gilt insbesondere im Bereich der Bildung, in dem die Mobilität von
Lehrenden und Lernenden gefördert werden soll, Art. 3 lit. q, 149 Abs. 2, 2.
Spiegelstrich EGV.
5.14.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Das Urteil wird der zunehmenden Mobilität wirtschaftlich noch nicht aktiver Bürger
gerecht. Die Freizügigkeit von Schülern und Studenten und die Anerkennung der
Gleichwertigkeit der Ausbildungen sind wichtige Schritte im europäischen
Integrationsprozesses. Deshalb sollten eigene Staatsangehörige, die davon Gebrauch
machen, nicht diskriminiert werden. Neben den sich entwickelnden Rechten sollte
aber die in Art. 17 Abs. 1 EGV genannte Pflichtenseite nicht unbeachtet bleiben. Ist
dabei ein Ungleichgewicht hinzunehmen? Die weite Auffassung zu Art. 12 EGV
könnte auch die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 EGV aufwerfen.
Des weiteren sind unvorhersehbare Folgen für die nationalen Sozialsysteme nicht
auszuschließen, noch verstärkt durch größeres Sozialgefälle durch eine EU-
Osterweiterung. Möglicherweise könnten europaweite Lösungen besser durch eine
einheitliche Rechtsetzung des Rates als durch richterliche Rechtsfortbildung
gefunden werden. Schließlich ist auch die Verfassungsfrage der EU berührt. Denn es
stellt sich die Frage, wie viel Staatlichkeit der Mitgliedstaaten bleibt, wenn die
Bedeutung der Staatsangehörigkeit schwindet.
5.14.6 Literatur/Leitentscheidungen

Bode, Anmerkung zum Urteil, EuZW 2002, 635.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.15 EuGH Roquette Frères Nahed Samour Grundrechte

5.15.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 22.10.2002 – Rs. C-94/00 – Roquette Frères SA, Slg. 2002 I-9011
5.15.2 Sachverhalt
Die Kommission (KOM) hat mit Entscheidung gemäß Art. 14 Abs. 3 der VO Nr. 17
des Rates angeordnet, dass Roquette einer Nachprüfung wegen wettbewerbswidriger
Verhaltensweisen unterzogen wird. Roquette gestattet alle
Nachprüfungsmaßnahmen. Roquette macht jedoch später beim Court de cassation
geltend, dass der die Durchsuchung anordnende nationale Richter den Antrag
stattgegeben hat ohne seine gesamten Kontrollbefugnisse auszuüben, die ihm die
Verfassung übertragen hat. Der nationale Richter hätte seinen Antrag nicht bloß auf
der Entscheidung der KOM stützen dürfen, ohne selbst zu prüfen, ob ernsthafte
Verdachtsmomente vorliegen.
5.15.3 Rechtliches Problem
Zu prüfen ist, ob die Durchsuchungsgenehmigung des nationalen Richters, die
ergangen ist ohne die gesamten verfassungsrechtlichen Kontrollbefugnisse
auszuüben und ohne sich zu vergewissern, ob eine Nachprüfungsentscheidung der
KOM aufgrund Unterlagen auch ernsthafte Rückschlüsse auf wettbewerbswidriges
Verhalten auch zulässt, möglicherweise eine Verletzung eines Grundrechtes bedeutet.
Das Kriterium der Notwendigkeit der Nachprüfung muss in jedem Einzelfall erfüllt
sein. Rechtsvergleichend lässt sich feststellen, dass alle Rechtsordnungen der MS den
Richtervorbehalt zur Überprüfung des Eingriffs fordern. Damit stellt sich die Frage
nach der Rolle des nationalen Richters beim konkreten Kontrollverfahren bei dem
Ersuchen einer Durchsuchungsgenehmigung.
5.15.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Ansicht KOM)
Grundsätzlich soll die Willkür- und Verhältnismäßigkeitsprüfung in den
Zuständigkeitsbereich des Gemeinschaftsrichters fallen. KOM räumt jedoch ein, dass
nationaler Richter Gegenstand und Zweck der Nachprüfung untersuchen soll, um
dem Urteil Hoechst gerecht zu werden. Jedoch ist der Prüfungsumfang zu
beschränken, auf das, was unbedingt erforderlich sei: vermutete Zuwiderhandlung
und deren engere Zusammenhang. Nur wenn dies fehle, dürfe nationaler Richter die
Genehmigung verweigern.
EuGH Roquette Frères Beantwortung der Vorlagefragen durch den EuGH, weitestgehend getragen vom Schlussantrag des GA Mischo Das nationale Gericht hat zu prüfen, ob die beantragte Zwangsmaßnahme (Eingriff) nicht willkürlich und gemessen am Gegenstand der Nachprüfung verhältnismäßig ist. Die Beurteilung der Notwendigkeit des Gerichts darf jedoch nicht die der KOM ersetzen. Die KOM trifft die gemeinschaftsrechtliche Pflicht substantiierte Informationen, auf die sich ihr Verdacht stützt zur nationalen Kontrolle vorzubringen, jedoch nicht die Akten herauszugeben, die diese Informationen enthalten. Genügt der Antrag der KOM diesen Anforderungen aus Sicht des nationalen Richters nicht, so darf der Richter den Antrag nicht einfach zurückweisen, da dies gegen Art. 14 VI der VO Nr. 17 verstoßen würde. In diesem Fall muß es die KOM zur Klarstellung auffordern. Das nationale Gericht kann also einen Antrag ausschließlich in folgenden Fällen ablehnen: Ursprüngliche Informationen/ Klarstellung legt Schluss auf willkürliche oder unverhältnismäßigen Eingriff nahe keine sachdienliche Beantwortung der Klarstellungsaufforderung durch die KOM
5.15.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Wichtige Entscheidung zum Zusammenwirken von nationaler und „europäischer"
Hoheitsgewalt. Der Gerichtshof dehnt den Schutz der Unverletzlichkeit der
Wohnung auch auf Geschäftsräume aus und versucht, ein Gleichgewicht zwischen
Effektivität des Gemeinschaftsrechts und nationaler Nachprüfungsbefugnis
herzustellen. In der Praxis wohl sehr schwer zu befolgen.
5.15.6 Literatur/Leitentscheidungen
EuGH, Urt. v. 21.9.1989 – Rs. 46/87 und 227/88 – Hoechst, Slg. 1989, 2859.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.16 Schlussanträge Generalanwalt Jacobs Eugen Schmidberger Philipp Ambach Grundrechte

5.16.1 Entscheidung mit Fundstelle
Schlussanträge des Generalanwalts Francis G. Jacobs vom 11. 7. 2002, Rechtssache
C-112/00, Firma Eugen Schmidberger Internationale Transporte und Planzüge
gegen Republik Österreich
5.16.2 Sachverhalt
Die wichtigsten Transitrouten für den Güterlastverkehr zwischen Süddeutschland
und Norditalien führen durch die Alpen; wegen des Gebirgscharakters der Region
gibt es nur wenige Transitstrecken und diese sind stark ausgelastet. Die Hauptroute
für Schwerlastfahrzeuge führt durch den Brenner-Korridor, was eine erhebliche
Umweltbelastung gerade entlang dieser Strecke generiert. Diesem ist die
österreichische Regierung bereits mit Samstags- und Feiertagsverbot sowie
Lärmgrenzenregelungen begegnet (der Konflikt zwischen Verkehr und
Umweltschutz wurde bereits in der am 6.3.1995 in Kraft getretenen
„Alpenkonvention" von der Gemeinschaft anerkannt). Von Freitag, den 12.6.1998
auf den darauffolgenden Samstag blockiert ein österreichischer Umweltschutzverein
namens Transitforum Austria Tirol im Rahmen einer von den Behörden
genehmigten Demonstration die Brennerautobahn, um ihren Unmut über die
steigenden Umweltverschmutzungen durch den Schwerlastverkehr zu äußern. Die
Firma Eugen Schmidberger, ihres Zeichens Klägerin, ist ein kleines süddeutsches
Transportunternehmen, das Holz- und Stahltransporte zwischen Süddeutschland und
Norditalien eben über die Brenner-Transitroute abwickelt. Die Klägerin erhebt nach
der Blockadedemonstration des Umweltschutzvereines nun Klage gegen die
Republik Österreich mit der Forderung im wesentlichen nach Schadensersatz für
Stehzeiten sowie Verdienstausfall. Ihre Klage wird vom LG Innsbruck abgewiesen,
weil die Klägerin nach Auffassung des LG keinen Schaden nachweisen kann; das
Berufungsgericht (OLG Innsbruck) hält hingegen einige Aspekte für
gemeinschaftsrechtlich klärungsbedürftig, die es im Wege des
Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vorlegt.
5.16.3 Rechtliche Probleme
Die Klägerin macht geltend, die österreichischen Behörden wären ihrer
Verpflichtung zur Sicherstellung des freien Warenverkehrs entspricht dem EGV
nicht nachgekommen, indem die Blockade-Demonstration zugelassen wurde und die
Klägerin daran gehindert gewesen sei, die normale Transit-Route für ihren
Geschäftsbetrieb zu benutzen. Im Raume steht demnach eine Schadensersatzhaftung
des Staates Österreich für einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. In materieller
Hinsicht ist erörterungsbedürftig, ob eine behördlich genehmigte private Sperre einer
wichtigen Transitstrecke dem Mitgliedstaat als Beschränkung des freien
Schlussanträge Generalanwalt Jacobs Eugen Schmidberger
Warenverkehrs gem. Art. 28 EGV zuzurechnen ist und ob eine solche Beschränkung
des freien Handelsverkehrs durch entgegenstehende Grundrechte der Versammlungsteilnehmer
gerechtfertigt sein kann.

5.16.4 Kernaussagen der Entscheidungen
Einleitend stellt der Generalanwalt fest, dass in gefestigter Rechtsprechung (EuGH,
Urt. v. 19.11.1991 – Rs. C-6/90 – Francovich u. a., Slg. 1991 I-5357 (EuZW 1991,
758 ff; EuGH, Urteil v. 5.3.1996 – C-46/93 und C- 48/93 – Brasserie du Pecheur
und Factortame, Slg. 1996, I-1029) ein Mitgliedstaat vom Geschädigten wegen
Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht in Haftung genommen werden kann. Ein
Entschädigungsanspruch entsteht, wenn die Rechtsnorm, gegen die von Öffentlicher
Hand verstoßen wurde, dem Einzelnen Rechte verleiht, der Verstoß hinreichend
qualifiziert ist, und zwischen dem Verstoß gegen die staatliche Verpflichtung und
dem der betroffenen Person entstandenen Schaden ein unmittelbarer
Kausalzusammenhang besteht, wobei das Vorliegen eines bezifferbaren Schadens
vorausgesetzt ist (EuGH, Brasserie du Pecheur und Factortame, Rn 47 ff.). Die
Durchsetzung bzw. Kodifizierung dieses Anspruches ist dabei der nationalen
Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates überlassen, allerdings unter der Auflage,
dass die nationale Rechtsordnung ihrerseits die Grundsätze der Gleichwertigkeit zu
anderen nationalen Schadensersatzansprüchen sowie der Effizienz des
Rechtsschutzes wahrt.
Die Sperrung der Autobahn könnte in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit
fallen. Der Grundsatz des freien Warenverkehrs aus Art. 3 Abs. 1 lit. c, 14 Abs. 2
und 28 ff. EGV gilt sowohl für die Einfuhr als auch Ausfuhr und Durchfuhr von
Waren (EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – C-23/99 – Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-
7653). Art. 28 EGV dient dabei insbesondere der Beseitigung aller unmittelbaren
oder mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigungen im
innergemeinschaftlichen Handel; Maßnahmen, die den Verkehr aufhalten, stellen
eine Beschränkung dar (EuGH, Urt. v. 9.12.1997 – C-265/95 –
Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-6959 Rn. 29), Ausgenommen davon sind
lediglich Verzögerungen des Verkehrs durch verkehrsbedingte Reparaturen, die hier
aber nicht in Rede stehen. Mithin ist eine Straßenblockade einer bedeutenden
Transitstrecke grundsätzlich geeignet, eine Beschränkung des freien Warenverkehrs
zu erzeugen.
Allerdings ist fraglich, ob bereits Hindernisse geringen Ausmaßes die Verbotsnormen
des Vertrages aktivieren, oder ob auch bei Art. 28 EGV eine „De minimis"-Regel
greift, die Beschränkungen mit allzu ungewisser und indirekter Wirkung herausfallen
lässt (dafür Jacobs auch in seinen Schlussanträgen zu EuGH, Urt. v. 13.3.2001 – Rs.
C-379/98 – Preussen Elektra, Slg. 2001 I-2099 Rn. 204 mwN). Jacobs lässt dies
vorliegend dahingestellt bleiben, da eine Blockade einer Haupttransitroute für mehr
als 24 Stunden bereits zu gravierend sei, um unter eine etwaige De minimis-Regel
fallen zu können, betont aber eine neuerliche Tendenz des EuGH hin zu dieser
„Erheblichkeitsbedingung".
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Die Blockade ist im übrigen der Behörde zurechenbar.3 Vorliegend haben die Behörden ein durch Privatpersonen erzeugtes Hindernis für den freien Warenverkehr nicht beseitigt, dieses pflichtwidrige Unterlassen der Behörden verstößt gegen Art. 28 EGV. Auf der Rechtfertigungsebene stehen sich – nach Jacobs wohl zum ersten Mal – Grundfreiheiten und deren Beschränkung aufgrund eines eventuell notwendigen Grundrechtsschutzes entgegen, wogegen in vorangegangenen Entscheidungen die Grundrechte eher eine Schranken-Schranke für mitgliedstaatliche Beschränkungen der Grundfreiheiten dargestellt hatten (EuGH, Urt. v. 18.6.1991 – C- 260/89 – ERT, Slg. 1991, I-2925). Eine Beschränkung kann hier nur nach Art. 30 EGV oder der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – C-120/78 – Cassis de Dijon, Slg. 1979, I-649) gerechtfertigt werden. Eine Lösung verspricht das Vorgehen nach dem gewohnten zweistufigen Aufbau: liegt in der Berufung auf spezifische Verfassungsrechte des Einzelnen ein nach Gemeinschaftsrecht legitimes, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel und wenn ja, ob die in Rede stehende Beschränkung zum angestrebten Ziel in einem angemessenen Verhältnis steht. Beruft sich der „Verletzerstaat" auf vom EuGH anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze (und das dürfte wegen gemeinsamer Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten wohl annähernd der gesamte Grundrechtskatalog sein), Artikel der EMRK oder Artikel der Grundrechtscharta der Europäischen Union, ist von einer Billigung des Ziels im Sinne der Cassis-de-Dijon-Formel auszugehen. Interessant ist hier die Tatsache, dass so alle gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundrechte in den Rechtfertigungskatalog zur Begrenzung der Grundfreiheiten komplett mit aufgenommen werden; im selben Moment maßt sich der EuGH aber auch zu bestimmen an, welches anerkannte Grundrechte sind und wie weit diese reichen. Inwieweit die mitglied-staatliche Verfassungsgerichtsbarkeit dadurch „bevormundet" wird, bleibt abzuwarten. Vorliegend war die Störung des Handelsverkehrs jedenfalls einmalig und nur von kurzer Dauer; sie bedurfte zur Wirkungsentfaltung in der Öffentlichkeit auch der Blockade ebendort. Darüber hinaus hatten die Behörden auch Ausweichrouten als Maßnahmen der Störungsbegrenzung ausgegeben. Ein Verstoß gegen Art. 28 EGV ist daher wohl zu verneinen, da die Grundrechte hier eine Einschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen. 3 Art. 28 EGV umfasst insoweit nicht nur Maßnahmen des Staates selbst, sondern auch seine Versäumnisse, eventuelle Hindernisse für die für die wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts schnell und effektiv zu beseitigen, argumentum ex Art. 28 in Verbindung mit Art. 10 EGV. Eine in Reaktion auf das Urteil Kommission/Frankreich (EuGH C-265/95 (Kommission/Frankreich) Slg. 1997, I- 6959 (hier haben französische Bauern über Jahre sporadisch gewalttätige Angriffe auf insbesondre spanische Obsttransporte unternommen, um auf die eigene missliche Lage hinzuweisen) erlassene Verordnung Nr. 2679/98 rechnet auch das Handeln Privater dem Mitgliedstaat zu, sofern nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergreift, die Beeinträchtigung des Warenverkehrs zu beseitigen. Schlussanträge Generalanwalt Jacobs Eugen Schmidberger
5.16.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Der „neue" Fall, dass sich ein Mitgliedstaat direkt auf notwendigen
Grundrechtsschutz beruft, um eine Einschränkung einer Grundfreiheit zu
rechtfertigen, generiert jedenfalls keine neuen Schwierigkeiten in Aufbau und
Prüfung, zumal viele der vom EuGH anerkannten Rechtfertigungsgründe letztlich
auch auf Grundrechtserwägungen beruhen.
Beobachtenswürdig ist die Entwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich einer
Anerkennung einer „Erheblichkeitsschwelle" bei Art. 28 EGV im Sinne einer De
minimis-Regel. Zu beachten ist auch die Verordnung 2679/98, gerade wenn ein
Unterlassen des Staates (Art. 1 Abs. 2 der VO) zu Beeinträchtigung und
Schadensbegründung führt.
5.16.6 Literatur/Leitentscheidungen

Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.17 EuGH Carpenter Ralf Kanitz/Philipp Steinberg Grundrechte

5.17.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 11.7.2002 – Rs. C-60/00 – Carpenter, Slg 2002 I-6279 (JZ 03, 202 ff.)
5.17.2 Sachverhalt
Frau Carpenter, eine philippinische Staatsangehörige, wurde 1994 eine Erlaubnis zur
Einreise als Besucherin (visitor) in das Vereinigte Königreich für sechs Monate
erteilt. Nach Ablauf dieser Zeit blieb sie im Vereinigten Königreich und unterließ es,
eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. 1996 heiratete sie Peter
Carpenter, einen britischen Staatsangehörigen. Frau Carpenter beantragte daraufhin
eine Erlaubnis zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich als Ehegattin eines
Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Dieser Antrag wurde abgelehnt und Frau
Carpenter wurde ausgewiesen.
5.17.3 Rechtliches Problem
Problem des Falles ist zum einen die Frage, ob Gemeinschaftsrecht im vorliegenden
Fall anwendbar ist, ob somit ein grenzüberschreitender Bezug vorhanden ist. Ferner
ist die Frage des Umfangs der Überprüfung nationaler Maßnahmen am Maßstab
europäischer Grundrechte problematisch.
5.17.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
In der Rechtssache Carpenter bestätigte der Gerichtshof nun erneut die mit ERT
begründete Rechtsprechungslinie. Der Gerichtshof urteilt, dass die nach britischem
Recht zulässige Ausweisung von Frau Carpenter, einer philippinischen
Staatsangehörigen, geeignet sei, die Dienstleistungsfreiheit von Herrn Carpenter zu
behindern, der zu Geschäftszwecken in andere Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft reist, und prüft dann die nationale Maßnahme auf ihre Vereinbarkeit
mit dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens. Der Gerichtshof prüft hier
nicht mehr Grundfreiheit und Grundrecht getrennt – wie noch in ERT und
Familiapress. Statt dessen fließt das Grundrecht mit in die Abwägung von
zwingendem Erfordernis auf der einen Seite und Grundfreiheit auf der anderen Seite
ein. Es wird ausschließlich geprüft, ob die Beschränkung des Grundrechts aus
Allgemeinwohlgründen verhältnismäßig ist, nicht mehr, ob die Beschränkung der
Grundfreiheit aus zwingenden Gründen gerechtfertigt ist. Die Grundfreiheit dient hier
lediglich als Anknüpfungspunkt für die Prüfung.
Europäische Grundrechte werden so zum Maßstab originär nationaler Maßnahmen.
Damit begrenzen europäische Grundrechte im Sinne von negativen
Kompetenzgrenzen im Ergebnis die Reichweite mitgliedstaatlicher
Gestaltungsspielräume. Den Mitgliedstaaten wird vom Vertrag ausdrücklich oder
durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs das Abweichen von
EuGH Carpenter
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften eingeräumt. Der politische
Gestaltungsspielraum, den die Mitgliedstaaten dadurch gewinnen, wird dann durch
Gemeinschaftsgrundrechte beschränkt.
5.17.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Ein weiteres Beispiel für die Brisanz und Reichweite der „ERT-Rechtsprechung" .
Ferner relativiert der Gerichtshof den gemeinschaftsrechtlichen Anknüpfungspunkt
weiter.
5.17.6 Literatur/Leitentscheidungen
Mager, Anmerkung zum Urteil, JZ 2003, 202 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.18 EuGH Heininger Pari Hossenipour/Chia Lehnardt/Adrian Toschev
5.18.1 Entscheidung mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 13. Dezember 2001 – Rs. C-481/99 – Heininger/Bayerische Hypo-
und Vereinsbank, Slg. 2001 I-9945 (NJW 2002, 281 ff. und ZIP 2002, 31 ff.)
5.18.2 Sachverhalt
Das Ehepaar H schließt 1993 mit der Bank B einen Darlehensvertrag in Höhe von
150.000 DM ab, womit sie sich den Kauf einer Wohnung finanzieren wollen. Das
Darlehen wird durch eine Grundschuld in derselben Höhe gesichert. Mit im Januar
1998 erhobener Klage widerrufen H ihre auf den Abschluss des Darlehenvertrages
gerichtete Willenserklärung und verlangen von B Rückzahlung von Tilgungs- und
Zinsleistungen in Höhe von 118 400 DM. Dabei tragen sie vor, ein freiberuflich auch
für die B tätiger Immobilienmakler M habe sie mehrfach unaufgefordert in ihrer
Wohnung aufgesucht und sie zum Kauf der Immobilie sowie zum Abschluss des
Darlehensvertrags überredet. Dabei sei keine Belehrung über das Widerrufsrecht
erfolgt. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH gemäß Art. 234
EGV folgende Fragen vor:
1. Erfasst die HaustürgeschRL auch Realkreditverträge (§ 3 Abs. 2 Nr. 2
VerbrKrG) und kommt ihr in Bezug auf das in Art. 5 vorgesehene Widerrufsrecht Vorrang vor der VerbraucherKrRL zu? 2. Bejahendenfalls: Ist der nationale Gesetzgeber durch die HaustürgeschRL gehindert, die in § 7 Abs. 2 S. 3 VerbrKrG geregelte Befristung des Widerrufsrechts auch in den Fällen anzuwenden, in denen ein Haustürgeschäft die Gewährung eines Realkredits im Sinne von § 3 Nr. 2 VerbrKrG zum Gegenstand hat und die ein Art. 4 vorgesehen Belehrung unterblieben ist?
5.18.3 Rechtliche Probleme
Das Ehepaar Heininger musste sich auf ein Widerrufsrecht berufen können. Ein
solches konnte sich aus § 495 BGB und § 312 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. BGB neu bzw § 7
Abs 1 BGB ergeben.
Hinsichtlich des nationalen Umsetzungsrechts stellt sich im wesentlichen die Frage
des Verhältnisses von § 5 Abs. 2 HWiG in der bis zum 30. 9. 2000 geltenden Fassung
zu den Vorschriften des VerbrKrG in der bis zum 30. 9. 2000 geltenden Fassung,
hier insbesondere § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG. Die bis zur Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur
ging davon aus, dass das HWiG in Fallkonstellationen, die den differenzierten
Ausnahmevorschriften des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG unterfallen, anwendbar ist,
auch wenn diese dazu führen, dass das Widerrufsrecht aus § 7 Abs. 1 VerbrKrG auf
EuGH Heininger Grund des Ausschlusses dieser Vorschrift durch § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG nicht besteht. So mit Nachweisen BGH Urteil v. 9.4.2002, NJW 2002, 1881 ( = ZIP 2002, 1075 (1077)) – Heininger 2. Grund für den Ausschluss des Widerrufsrechtes bei sogenannten Realkreditverträgen, also durch ein Grundpfandrecht gesicherten Kreditverträgen, ist der somit zu erreichende günstigere Zins für den Verbraucher. Der Gesetzgeber hat das Widerrufsrecht ganz bewusst wegen der damit einhergehenden Gefährdung der taggenauen Refinanzierung vieler Realkredite ausgeschlossen, auf der wiederum deren günstige Verzinsung beruht. „Das Widerrufsrecht würde die taggenaue Refinanzierung vieler Realkredite, die eine Grundlage für deren günstige Verzinsung darstellt, erheblich gefährden. Die vorgesehene Verzugszinsregelung (§ 10 Abs. 1) wäre in vielen Fällen des Realkredits zu günstig. Die Voraussetzungen der Gesamtfälligstellung sind auf die meist langen Laufzeiten der Realkredite mit ihrer niedrigen Anfangstilgung nicht zugeschnitten. Die Sicherstellung durch einzutragende Pfandrechte wirkt zusätzlich warnend, so dass jeder Nachfrager zu besonderer Umsicht gemahnt ist." Begründung in der BT-Drucks. 11/5462, S. 18; ebenso hieraus zitierend der BGH in seinem Vorlagebeschluss vom 29.11.1999 an den EuGH, ZIP 2000, 177, unter II 2 b bb). Bei den generellen Ausschlussgründen des § 3 Abs. 1 VerbrKrG hingegen sollte das HWiG zur Anwendung kommen. Zusammenfassend Ulmer, ZIP 2002, 1080 (1081). [Neue Rechtslage: Anwendbarkeit von § 312 a BGB, wenn im konkreten Fall die Anwendung der dort genannten Normen, die den §§ 312 ff. BGB vorgehen sollen, durch § 491 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen ist Die Anwendung von § 495 BGB war im konkreten Fall gemäß § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, da das Darlehen mit einem Grundpfandrecht gesichert wurde (=Realkreditvertrag). § 312 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. BGB war zwar grundsätzlich anwendbar, so dass den H ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zugestanden hätte. Allerdings bestimmt die Vorrangregelung des § 312 a BGB, dass bei Zusammentreffen von Verbraucherkredit und Haustürgeschäft allein die §§ 491 ff. BGB Anwendung finden. Im vorliegenden Fall war aber das Widerrufsrecht gemäß § 495 BGB durch § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, siehe oben. In der deutschen Lehre war umstritten, ob auch in einem solchen Fall § 312 a BGB anzuwenden ist. Der BGH schloss sich der herrschenden Meinung an und bejahte dies. Alle Verbraucherkreditverträge seien von der Anwendung der §§ 312 ff. BGB ausgeschlossen. § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB schließe nur eine bestimmte Rechtsfolge der §§ 491 ff. BGB aus, nicht aber deren Anwendung. Diese Ansicht hatte zur Folge, dass bei Realkreditverträgen weder ein Widerrufsrecht nach § 495 BGB noch nach § 312 BGB gegeben war.] Frist bei Haustürgeschäften Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
Für den Fall, dass dem Ehepaar ein Widerrufsrecht zustand, war der BGH der
Ansicht, dass sich die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 7 Abs. 1
VerbrKrG analog richtet. Realkredite seien Kreditgeschäfte, die grundsätzlich den
Vorschriften über Verbraucherkreditverträgen unterfielen. Da der Gesetzgeber das
Widerrufsrecht für Realkredite als unpassend angesehen hat, liege es nahe, das
Widerrufsrecht auch bei Realkreditgeschäften, die in einer Haustürsituation
abgeschlossen wurden, für die aber die Vorschriften über Verbraucherkreditverträge
die speziellere Regelungen sind, zeitlich wie in § 7 Abs. 1 VerbrKrG zu begrenzen.
5.18.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung4
Zur ersten Vorlagefrage:
Der EuGH beantwortete die erste Vorlagefrage dahingehend, dass die
HaustürgeschäfteRL auch Realkreditverträge erfasst und ihr in Bezug auf das durch
die HaustürgeschäfteRL gewährte Widerrufsrecht Vorrang zukommt. Das Gericht
prüfte zunächst, ob der vorliegende Vertrag von Art. 3 Abs. 2 lit. a
HaustürgeschäfteRL erfasst wird: Stellt ein Realkreditvertrag einen Vertrag über
andere Rechte an Immobilien im Sinne dieser Norm dar? Der EuGH verneinte dies,
da ein Anknüpfung des Vertrages an solche Rechte nicht ausreiche. Entscheidend sei
der Gegenstand des Vertrages, dieser sei vorliegend die Überlassung von Kapital.
Der durch die RL gewährte Schutz werde durch die Absicherung mit einem
Grundpfandkredit nicht entbehrlich. Zum anderen widersprach das Gericht der
Ansicht des BGH, dass der Anwendungsbereich der HaustürgschäfteRL durch die
später erlassene VerbraucherkreditRL eingeschränkt werde, wie auch die
Bundesregierung argumentiert hatte. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Die
HaustürgeschäfteRL sei daher anwendbar, ein Widerrufsrecht sei folglich auch bei
Realkreditverträgen gegeben.
Zur zweiten Vorlagefrage:
In den Anwendungsfällen der HaustürgeschäfteRL ist die Befristung des
Widerrufsrechts ausgeschlossen. Der EuGH ging in seiner Argumentation
folgendermaßen vor:
Nach Art 4 Abs. 1 der RL 85/577 EWG ist der Verbraucher über sein
Widerrufsrecht zu belehren. Art. 4 Abs. 3 RL 85/577 EWG verpflichtet die
Mitgliedstaaten, zum Schutz des Verbrauchers geeignete gesetzliche Maßnahmen zu
treffen, wenn die Belehrung nicht erfolgt. Nach Art. 5 RL beginnt die einwöchige
Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts ab dem Zeitpunkt der Belehrung nach
Art. 4 Abs. 1 zu laufen. Sinn von Art. 5 RL sei es, dem Verbraucher auch die
tatsächliche Möglichkeit des Widerrufs zu geben: Wenn er von seinem Recht nichts
weiß, kann er es nicht ausüben. Deswegen und wegen des Wortlauts der Vorschrift
könne Art. 4 Abs. 3 der RL nicht dahingehend ausgelegt werden, dass das
Widerrufsrecht auf ein Jahr begrenzt werden kann, wenn eine Belehrung nicht erfolgt
ist. Zum Argument der Bundesregierung (und sich anschließend Italien, Österreich
und Belgien), dass eine Befristung aus Gründen der Rechtssicherheit geboten sei,
4 Obwohl nicht der Vertragsschluss selbst, sondern nur die Vertragsanbahnung in der Wohnung der H erfolgte, ging der EuGH von einem Haustürgeschäft aus, ohne dies näher zu begründen („fortwirkende Kausalität"). EuGH Heininger
bemerkte der EuGH, dass diese hinter den Verbraucherschutz zurücktreten müssten.
Dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit könne dadurch Rechnung getragen werden,
dass die Kreditinstitute ihrer Obliegenheit (Belehrung) nachkommen.
Eine zeitliche Begrenzung des Urteils lehnte der EuGH ab, da die Beklagte die
Gefahr des erheblichen finanziellen Risikos nicht hinreichend begründet habe.
5.18.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis .
. sind nach den letzten Änderungen im BGB nicht weitreichend. Gemäß § 355 Abs.
3 Satz 3 BGB erlischt das Widerrufsrecht nicht bei nicht ordnungsgemäßer
Belehrung. In § 491 Abs. 3 BGB ist das Grundpfandrecht als Sicherung des
Darlehenvertrages nicht mehr als Ausnahmegrund für die Anwendung der §§ 491 ff.
BGB erwähnt. Nach heutigem Recht stellen sich also die oben aufgeworfenen und
entschiedenen Fragen nicht mehr, sie lassen sich mit dem BGB in
europarechtskonformer Weise lösen.
Die hier relevanten Vorschriften des HWiG und VerbrKrG wurden ursprünglich im
Rahmen der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 in das BGB inkorporiert. Diese
BGB-Vorschriften wurden nach dem Heininger-Urteil des EuGH durch den
Gesetzgeber zum Teil geändert und ergänzt. Einige der für die Entscheidung
relevanten Vorschriften existieren in dieser Form gar nicht mehr.
Dennoch ist die Entscheidung sehr lehrreich hinsichtlich der richtlinienkonformen
Auslegung von nationalem Recht und dahingehend hochumstritten.
5.18.6 Literatur/Leitentscheidungen
Reich/Rörig, Anmerkung zum Urteil, EuZW 2001, 764ff.; Staudinger, Der Widerruf bei
Haustürgeschäften: eine unendliche Geschichte?, NJW 2002, 653 ff.; das Urteil des
BGH, das infolge der Vorlage an den EuGH erging, ist abgedruckt in: NJW 2002,
1881 ff.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.19 EuGH Gervais Larsy Andreas Graetz
5.19.1 Entscheidungen mit Fundstelle
EuGH, Urteil vom 28. 6. 2001 – Rs. C-118/00 – Gervais Larsy, Slg. 2001 I-5063
(EuZW 2001, 477 ff.)
5.19.2 Sachverhalt
Der Belgische Staatsbürger Gervais Larsy, wohnhaft in Belgien, nahe der
französischen Grenze, übte eine selbstständige Tätigkeit als Baumschulgärtner
sowohl in Frankreich als auch in Belgien aus. Während des Zeitraums vom 1.1.1964
bis zum 31.12.1977 entrichtete er auch Beiträge an das französische
Sozialversicherungssystem.
Mit Bescheid vom 3.7.1986 bewilligte ihm das (belgische) Inasti eine Altersrente in
Höhe eines vollen Rentenanspruchs (45/45). Mit Wirkung vom 1.3.1987 erhielt der
Kläger zusätzlich vom zuständigen französischen Sozialversicherungsträger eine
Altersrente. Daraufhin kürzte das Inasti am 21.12.1988 unter Berufung auf eine
nationale Antikumulierungsvorschrift die belgische Altersrente entsprechend
(Herabsetzung auf 31/45). Die daraufhin vom Kläger beim Tribunal du Travail
Tournai am 16.1.1989 erhoben Klage wurde am 24.4.1990 abgewiesen, das Urteil
erlangte jedoch mangels Zustellung keine Rechtskraft.
In der Folgezeit erhob der Bruder des Antragstellers, Marius Larsy, der sich in einer
ähnlichen tatsächlichen und rechtlichen Situation wie der Kläger selbst befand,
ebenfalls Klage beim Tribunal du Travail Tournai. Im Rahmen dieses Verfahrens
legte das Tribunal du Travail dem EuGH Fragen über die Auslegung der Art. 12 und
Art 45 der VO (EWG) 1408/71 vor, welche die Zulässigkeit von nationalen
Antikumulierungsvorschriften betraf. Mit Urteil vom 2.8.1993 (Rs. C-31/92 – Marius
Larsy, Slg. 1993, I-4543) entschied der EuGH, dass Art. 46 Abs. 3 so auszulegen sei,
dass die darin enthaltene Antikumulierungsvorschrift jedenfalls nicht für den Fall gilt,
wo ein Arbeitnehmer zeitgleich in zwei Mitgliedsstaaten arbeitet, und in beiden zur
Entrichtung von Beiträgen zur Alterssicherung verpflichtet war (wie dies sowohl bei
Marius Larsy, wie auch dem Kläger der Fall war).
Angesichts dieser Auslegung beantragte der Antragsteller beim Inasti am 3.6.1994
eine entsprechende Abänderung seines Rentenbescheids. Daraufhin erließ das Inasti
am 26.4.1995 einen neuen Bescheid, mit dem Kläger ab dem 1.7.1994 ein voller
Rentenanspruch (45/45) bewilligt wurde. Nachdem der Kläger mit der Kommission
Kontakt aufgenommen hatte, legte er mit Schreiben vom 8.8.1997 bei der Cour du
travail Mons Berufung gegen das Urteil des Tribunal du Travail Tournai vom
42.4.1990 ein, und begehrte sowohl die Neuberechnung seiner Rentenansprüche mit
Wirkung vom 1.3.1987, als auch den Ersatz von materiellem (100.000 BEF) und
immateriellen Schaden (1 BEF). Der Cour du Travail gab der Klage insoweit statt, als
eine Gewährung des vollen Rentenanspruchs mit Wirkung vom 1.3.1987 beantragt
EuGH Gervais Larsy
wurde. Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz konnte der Cour du Travail
jedoch nicht endgültig klären, ob das Inasti durch die Neuberechnung des
Rentenanspruchs mit bloßer Wirkung vom 1.7.1994 einen hinreichend qualifizierten
Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen hat, da sich das Inasti u.a. auf Art.
95a der VO (EWG) 1408/71 beruft, und diesen Artikel so verstanden haben will,
dass Art 95 a Abs. 4 bis 6 EGV einer rückwirkenden Neuberechnung der Ansprüche
im Wege steht.
5.19.3 Rechtliches Problem
Folglich zielt die erste Vorlagefrage daraufhin ab, festzustellen, ob für einen Antrag
auf Neufeststellung einer Altersrente, deren Höhe aufgrund einer
Antikumulierungsvorschrift eines Mitgliedsstaates beschränkt wurde, Art. 95 a Abs. 4
bis 6 der VO (EWG) 1408/71 gilt.
Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Tatsache, dass
der zuständige Träger die Art. 95 a Abs. 4 bis 6 der VO (EWG) 1408/71 fälschlich
auf einen Antrag auf Neufeststellung einer Altersrente anwendet, einen
haftungsbegründenen hinreichenden Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darstellt.
5.19.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Zur ersten Vorlagefrage
Art. 95 a wurde durch die VO (EWG) 1248/92 als Übergangsbestimmung in die VO
(EWG) 1408/71 eingefügt. Der in Art. 95 a vorgesehene Anspruch auf
Neufeststellung bezieht sich daher nur auf Fälle, in denen sich ein insoweit gestellter
Antrag auf mit der VO (EWG) 1248/92 eingefügten Bestimmungen stützt. Dies
ergibt sich schon aus dem klaren Wortlaut des Art 95 a Abs. 4 der VO (EWG)
1408/71. Da der Antragsteller sich im Ausgangsverfahren ausschließlich auf Art. 12
und 46 der VO (EWG) 1408/71 stützt, ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten,
dass Art. 95 a Abs. 4 bis 6 der VO (EWG) 1408/71 keine Anwendung auf einen
Sachverhalt, wie den hier vorliegenden, finden.
Zur zweiten Vorlagefrage
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hat ein Mitgliedsstaat Schäden, die durch
ihm zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, dem
Einzelnen unter drei Voraussetzungen zu ersetzen: Die Rechtsnorm, gegen die
verstoßen worden ist, muss dem Einzelnen hinreichend bestimmbare Rechte
verleihen, es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen den
Rechtsverstoß und dem Schaden bestehen und schließlich muss der Verstoß
hinreichend qualifiziert sein, d.h. der Staat muss offenkundig und erheblich gegen
eine Gemeinschaftsrechtsnorm verstoßen haben (EuGH, Urt. v. 19.11.1991 – Rs. C-
6/90 – Francovich, Slg. 1991 I-5357 (EuZW 1991, 758 ff.)).
Grundsätzlich ist ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht offenkundig qualifiziert,
wenn er trotz des Erlasses eines Urteils des EuGH, aus dem sich die Pflichtwidrigkeit
des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat. Hier kann dem Inasti zunächst
vorgeworfen werden, dass es nicht die notwendigen Konsequenzen aus dem in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vergleichbaren Urteil Marius Larsy gezogen
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
hat, in dem der EuGH dem Anspruch des Antragstellers bejahte, ohne dass sich dem
Urteil entnehmen lässt, dass die Rückwirkung der Neufeststellung beschränkt werden
durfte. Dabei ist unerheblich, ob das Urteil nur das vorlegende Gericht bindet,
während das Inasti, wie es vorträgt, lediglich dessen „moralische Kraft"
Berücksichtigen müsse.
Weiterhin muss bei einem hinreichend qualifizierten Verstoß auch das Maß der
Klarheit der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift berücksichtigt werden. Hier spricht
der Wortlaut klar gegen eine Anwendung des Art. 95 a der VO (EWG) 1408/71 auf
den vorliegenden Fall. Der Rechtsirrtum des Inasti wiegt umso schwerer, als dass der
EuGH bereits für den Fall des ähnlich lautenden Art. 94 Abs. 5 bis 7 der VO (EWG)
1408/71 festgestellt hatte, dass die neu eingefügten Bestimmungen keinesfalls die
bereits bestehenden Ansprüche aus der VO (EWG) 1408/71 verkürzen dürfte.
Schließlich kann sich das Inasti auch nicht darauf berufen, dass es durch den Antrag
des Antragstellers gemäß Art. 95 a der VO (EWG) 1408/71 insoweit gebunden
gewesen sei, so dass es den Anspruch wenn überhaupt nur auf Art. 95 a der VO
(EWG) 1408/71 stützen könne, da eine so geartete nationale Bestimmung mit dem
Grundsatz der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unvereinbar wäre.
5.19.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
In dem vorliegenden Urteil bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung über die
Vorraussetzungen eines Haftungsanspruchs gegen einen Mitgliedsstaat aufgrund
eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht. Zu beachten ist dabei insbesondere,
dass der EuGH einen hinreichend qualifizierten Verstoß auch aufgrund der
Missachtung von Rechtsprechung des EuGH zu einer bloß ähnlichen Vorschrift des
Gemeinschaftsrechts (hier Art. 94 Abs. 5 bis 7 der VO (EWG) 1408/71) für gegeben
sieht.
5.19.6 Literatur/Leitentscheidungen
von Danwitz, Die Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung der Mitgliedsstaaten, DVBl.
1997, 1 ff.
LG Berlin 5.20 LG Berlin Jan Petry
5.20.1 Entscheidungen mit Fundstelle
LG Berlin, Urt. v. 9.4.2001 – 23.0.650/00 (EuZW 2001, 511 f.)
5.20.2 Sachverhalt
Die Kläger sind als Rechtsnachfolger des Alteigentümers Eigentümer zweier
Flurgrundstücke in Brandenburg. Da als jetzige Eigentümerin die B-GmbH im
Grundbuch eingetragen ist, stellten sie einen Antrag auf Rückübertragung der
Grundstücke an das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen und erhoben,
nachdem dieser negativ beschieden wurde und auch der Widerspruch keinen Erfolg
hatte, Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht. Zur Begründung ihres
Rückübertragungsanspruchs beabsichtigten die Kläger die Vorlage der
Jahresabschlüsse der B-GmbH im noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen
Verfahren.
Deshalb stellten sie beim zuständigen Amtsgericht den Antrag, die Gesellschaft unter
Androhung eines Zwangsgeldes gem. § 335 S. 1 Nr. 6 HGB (Fassung vom 19.12.85)
zur Vorlage der Jahresabschlüsse anzuhalten. Der Antrag auf Übersendung der
Jahresberichte wurde jedoch letztinstanzlich, aufgrund der Tatsache, dass die Kläger
nicht zu dem von § 335 HGB umfassten Personenkreis gehörten, zurückgewiesen.
Die gesamten Kosten dieses Verfahrens wurde den Klägern auferlegt.
Die Kläger begehren nun vor dem LG Berlin Schadensersatz für die Kosten des
Verfahrens von der Bundesrepublik Deutschland, da sie zu dem von § 355 HGB
umfassten Personenkreis gehört hätten und somit antragsberechtigt gewesen wären,
wenn die Bundesrepublik die RL 68/151 EWG und 78/660 EWG, auf denen die
Einführung des § 335 HGB beruhte, fehlerfrei umgesetzt hätte. Das LG Berlin hat
die Klage abgewiesen, da es weder den gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruch
für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch einen Mitgliedstaat, noch den
deutschen Amtshaftungsanspruch für begründet hielt.
5.20.3 Rechtliches Problem
Im Raum steht eine Schadensersatzhaftung der Bundesrepublik Deutschland wegen
der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie. Es ergeben sich folgende rechtliche
Probleme:
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob es sich bei dem zu prüfenden
Staatshaftungsanspruch um einen gemeinschaftlichen oder einen nationalen Staatshaftungsanspruch handelt, bzw. wie sich dies auf die Prüfung auswirkt. Weiterhin sind die gemeinschaftsrechtlich normierten Tatbestandsvoraussetzungen ausfüllungsbedürftig, insbesondere ist fraglich: Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) (1) Wann ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht
vorliegt und welche Gesichtspunkte das betreffende Gericht bei dieser Feststellung zu berücksichtigen hat (Ermessen, Klarheit und Genauigkeit der Norm, entgegenstehende Entscheidung des EuGH etc.) (2) Wann der erforderliche unmittelbare Kausalzusammenhang zwischen
dem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht und dem der betroffenen Person entstandenen Schaden vorliegt und anhand welcher Kriterien er zu bestimmen ist.
5.20.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Gemeinschaftsrechtlicher oder nationaler Staatshaftungsanspruch ? Es ist seit jeher umstritten, ob es sich bei dem durch EuGH-Rechtsprechung geschaffenen Staatshaftungsanspruch um einen gemeinschaftsrechtlichen oder einen nationalen Staatshaftungsanspruch handelt, da laut EuGH die Tatbestandsvoraussetzungen gemeinschaftsrechtlich normiert sind, das Verfahrensrecht und die Rechtsfolgen dagegen von den Mitgliedstaaten zu bestimmen sind. Im Grunde handelt es sich hierbei eher um eine akademische Frage, deren Beantwortung wohl weitestgehend vom Entwicklungsstand des nationalen Rechts abhängt und allerhöchstens auf die Struktur der Prüfung von Einfluss ist. Der BGH (Brasserie du Pecheur - BGHZ 134, 30, 36) hat sich allerdings dafür entschieden, den Staatshaftungsanspruch wegen mitgliedstaatlichem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht als ein unmittelbar im Gemeinschaftsrecht wurzelnder Anspruch und somit als eigene Anspruchsgrundlage zu qualifizieren. Dem folgt von der Struktur her auch das LG Berlin, das zunächst den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch prüft und erst danach auf den deutschen Amtshaftungsanspruch gem. § 839 in Verbindung mit Art. 34 GG abstellt. Der nationale Amtshaftungsanspruch scheitert in diesem Falle aber laut LG an der Tatsache, dass es sich zwar bei der fehlerhaften Umsetzung der RL um eine Amtspflichtverletzung handelt, dieser jedoch der Drittbezug fehle, da sich Amtspflichten iRd Gesetzgebung darin erschöpfen, dem Allgemeininteresse zu dienen. Die Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs Ein Staatshaftungsanspruch ist gegeben, wenn (1) der Mitgliedstaat gegen eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift verstoßen hat, die bezweckt dem einzelnen Rechte zu verleihen, (2) der Rechtsverstoß hinreichend qualifiziert ist, und (3) zwischen dem Verstoß und dem eingetretenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Vgl. EuG, Urt. v. 9.7.1997 – Rs. T-455/93 – Hedley Lomas, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 8.10.1996 – Rs. C-178/94 – Dillenkofer, Slg. 1996 I-4845 Rn. 26; EuGH, Urteil v. 5.3.1996 – Rs. C-46/93 – Brasserie du Pecheur et Factortame, Slg. 1996 I-1029 Rn. 51; EuGH, Urt. v. 26.3.1996 – Rs. C-392/93 – British Telecommunications, Slg. LG Berlin 1996 I-1631 Rn. 39; EuGH, Urt. v. 19.11.1991 – Rs. C-6/90 – Francovich, Slg. 1991 I-5357 Rn. 40) Zu (1): Der Rechtsverstoß der Bundesrepublik Deutschland liegt in der fehlerhaften Umsetzung der RL´en begründet. Die erste gesellschaftsrechtliche RL 68/151 EWG des Rates vom 9.3.68 und die vierte RL 78/ 660 EWG verfolgen das Ziel, die einzelstaatlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten über die Veröffentlichung der in Art. 2 RL 68/151 aufgeführten Urkunden zu koordinieren. Diese Pflicht zur Veröffentlichung und Einsichtnahme soll dem Schutz der Interessen Dritter, welche die buchhalterische und finanzielle Situation einer Gesellschaft nicht hinreichend kennen, dienen, indem sie sich durch die notfalls zwangsweise Offenlegung des Jahresabschlussberichtes unterrichten können. Die Umsetzung der RL durch § 335 HGB a. F., welcher das Recht zur Beantragung der zwangsweisen Offenlegung des Jahresabschlussberichtes nur bestimmten Personengruppen (nur Gesellschaftern, Gläubigern und dem Betriebsrat) einräumt, wurde vom EuGH schon am 4.12.97 (Rs. C-97/96 – Daihatsu, Slg. 1996 I-6843 (EuZW 1998, 45)), in einem anderen Verfahren, als der RL 68/151 entgegenstehend und somit als fehlerhaft angesehen. Auch das LG Berlin verweist auf diese Entscheidung und problematisiert somit die Frage nach einem Verstoß gegen eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, die dem einzelnen Rechte verleiht, nicht. Zu (2): Allerdings ist es fraglich, ob die unrichtige Umsetzung der Richtlinie für einen hinreichend qualifizierten Gesetzesverstoß ausreicht. Generell wurde in der bisherigen Rechtsprechung des bei der Frage nach einem hinreichend qualifizierten Gesetzesverstoß zunächst danach unterschieden, ob der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts über ein weites, enges oder gar kein Ermessen verfügt: Besteht kein Ermessen, oder ist das Ermessen auf Null reduziert, reicht die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts aus, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu bejahen (EuGH, Dillenkofer, Rn. 29). Im vorliegenden Fall nimmt das LG Berlin an, dass der BRD ein Ermessensspielraum bei der Umsetzung der RL zustand. Dies folge schon aus Art. 249, der besagt, dass Richtlinien zwar bezüglich des zu erreichenden Zieles verbindlich sind, aber die Wahl der Mittel und die Wege der Durchführung den Mitgliedstaaten überlassen bliebe. Auch konnte das LG keinen verringerten oder gar „auf Null" reduzierten Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der RL feststellen, da die RL den MS nicht hinreichend genau und bedingungslos vorgäbe, in welcher Weise das Verfahren auszugestalten, bzw. wie eine Sanktionierung bei Missachtung der Offenlegungspflichten auszusehen hätte. So gibt die RL 68/151 den Mitgliedstaaten lediglich vor, dass sie gem. Art. 2 „die erforderlichen Maßnahmen treffen", damit die Pflicht zur Offenlegung der in Art. 2 aufgeführten Urkunden gewährleistet wird, und gem. Art. 6 „geeignete Maßnahmen" anzudrohen haben falls diese Offenlegung unterbleibt. Besteht hingegen Ermessen, ist der hinreichend qualifizierte Rechtsverstoß zu bejahen, wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens offenkundig und erheblich überschritten hat. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Anhaltspunkte sind generell: das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die von der Norm eingeräumte Weite des Ermessens, die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums, die entgegenstehende Rechtsprechung des EuGH, und schließlich der Umstand, ob der Schaden beabsichtigt oder unbeabsichtigt war (EuGH, Brasserie du Pecheur, Rn. 56 f.; EuGH, British Telecommunications, Rn. 43 f.). Das LG streicht zunächst einmal heraus, dass es bei der Frage, ob die BRD bei der Umsetzung der RL die Grenzen ihres Ermessens offenkundig und erheblich überschritten hat, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der RL, sowie das in der RL eingeräumte Ermessen der verletzten Vorschrift zu berücksichtigen hat. Bei der Beantwortung der Frage stellt das LG auf den Zeitpunkt der Umsetzung ab. Zu dem damaligen Zeitpunkt habe die BRD mit vertretbarer Argumentation annehmen dürfen, dass der Begriff des Dritten nur auf diejenigen anwendbar sei, die mit der Gesellschaft Verpflichtungen eingegangen sind. Dies folge zum einen aus dem Umstand, dass die Gläubiger der Gesellschaft, wegen des ihnen drohenden Insolvenzrisikos, besonders schutzbedürftig sind, zum anderen würde die Begründungserwägung der RL 68/151 nicht auf eine Offenlegung für jeden Dritten verweisen, sondern nähme vielmehr Bezug auf die Wirksamkeit eingegangener Verpflichtungen. Diese Bezugnahme ließe den Schluss zu, dass der von der RL geschützte Personenkreis sich zumindest nur auf diejenigen Gläubiger beschränkt, die mit der Gesellschaft in einer vertraglich begründeten Beziehung stehen. Weiterhin fehle es der RL auch an der erforderlichen Klarheit und Genauigkeit, um eine Auslegung des Inhalts, jedermann solle ein Recht auf Einsichtnahme in die von der RL aufgeführten Unterlagen haben, vorzugeben. Aus alledem zieht das LG den Schluss, dass die Auslegung der BRD zum damaligen Zeitpunkt zumindest vertretbar und wegen der unpräzisen Formulierung der RL 86/151 durch einen Rechtsirrtum entschuldbar war. Auch wären bei der Umsetzung die Grenzen des Ermessens nicht offenkundig und erheblich überschritten worden, da sie nicht völlig abwegig und ungeeignet gewesen wäre, das Ziel der RL zu erreichen. Somit liegt nach Ansicht des LG kein hinreichend qualifizierter Verstoß vor. Vom Gericht hätte noch geprüft werden können, ob nicht ein hinreichend qualifizierter Verstoß ab dem Zeitpunkt vorgelegen hat, an dem der EuGH die deutsche Umsetzung als fehlerhaft statuiert hatte (somit ab dem Daihatsu Urteil vom 4.12.97, welches schon vor der Antrag der Kläger auf Offenlegung am 4.3.1998 erlassen wurde). Denn nach ständiger Rspr. des EuGH ist ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht als jedenfalls dann als hinreichend qualifiziert anzusehen, wenn er trotz eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren, aus dem sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat (EuGH, Brasserie du Pecheur, Rn. 57; EuGH, British Telecommunications, Rn. 44). Zu (3): Der EuGH orientierte sich bisher hinsichtlich des unmittelbaren Kausalzusammenhangs an einer weit gefassten Adäquanztheorie (EuGH, Brasserie du Pecheur). Ausreichend ist daher, dass der Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung für einen verständig denkenden Beobachter den Schaden herbeiführen könnte. LG Berlin
Das LG verneint jedoch den unmittelbaren Schadenszusammenhang, mit dem
Argument, dass auch bei einer ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie nicht
ohne weiteres davon ausgegangen werden könnte, dass die Kosten des Verfahrens
von der B.-GmbH zu tragen gewesen wären. Denn das zur Beantragung der notfalls
zwangsweisen Vorlage der Jahresabschlüsse angerufene Registriergericht entscheidet
nach dem Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nach
pflichtgemäßem Ermessen gem. § 13 FGG. Das Gericht könne somit die Kosten der
Rechtsdurchsetzung jedem der Beteiligten ganz oder teilweise auflegen, auch der
Partei, die den Antrag auf Offenlegung der Bilanz- und Gewinnrechnung gem. § 335
HGB gestellt hat. Damit wäre aber nach der Argumentation des LG eine den
Kausalitätsverlauf unterbrechende Zwischenursache gegeben, demgemäss läge kein
unmittelbarer Schadenszusammenhang vor. Nach dieser Argumentation wäre die
Klage selbst dann nicht erfolgreich, wenn man oben einen hinreichend qualifizierten
Verstoß annehmen würde.
5.20.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Im allgemeinen kann dieser Fall sehr dazu dienen, sich die Bedeutung der
Tatbestandsvoraussetzung eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß
klarzumachen. Grundlegend ist die Weichenstellung in der Prüfung, je nachdem, ob
der staatlichen Stelle noch ein Ermessensspielraum bleibt oder nicht. Besteht ein
Ermessensspielraum, darf nicht vorschnell auf einen qualifizierten Rechtsverstoß
geschlossen werden, denn jede wie auch immer noch vertretbare Auffassung eines
Mitgliedstaats lässt diese Tatbestandsvoraussetzung entfallen.
Fraglich bleibt jedoch, warum das LG nicht den Fortbestand der fehlerhaften
Umsetzung trotz entgegenstehendem EuGH Urteil (Daihatsu) als hinreichend
qualifizierten Rechtsverstoß gewertet hat. Interessant wäre es zu wissen, ob hierbei
vielleicht die relativ kurze Zeitspanne zwischen Urteil und Antragsstellung (ca. 3
Monate) eine Rolle gespielt hat, da diese für eine Gesetzesänderung zu kurz
erscheinen könnte. Auf der anderen Seite kann sich ein Mitgliedstaat normalerweise
nicht durch Berufung auf innerstaatliche politische Probleme von seiner
Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie lossagen (EuGH,
Urt. v. 26.2.1976 – Rs. 52/75 – Gemüse Richtlinie, Slg. 1976 277 Rn. 11 ff.). Diese
Problematik bleibt vom LG, dass unbeirrbar, trotz Kenntnis des betreffenden
EuGH-Urteils nur auf den Zeitpunkt der Umsetzung der RL abstellt, unberührt. Es
bleibt abzuwarten, ob sich dies, bei einem möglichen Gang vor das OLG ändert.
5.20.6 Literatur/Leitentscheidungen
Zacker/Wernicke, Examinatorium Europarecht, 2. Auflage 2002, S. 363 ff
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) 5.21 EuGH Gutachten Protokoll von Cartagena Anne Becker
5.21.1 Gutachten mit Fundstelle
EuGH, Gutachten vom 6.12.2001 – Gutachten 2/00 – Protokoll von Cartagena, Slg.
2001 I-9713 (EuZW 2002, 113 ff.)
5.21.2 Sachverhalt
Am 24.5.2000 wurde das von der Konferenz der Vertragsparteien der 1992
geschlossenen Biodiversitätskonvention beschlossene Protokoll von Cartagena über
die biologische Sicherheit (bei der Verbringung biotechnologisch veränderter
lebender Organismen) von der EG und ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet. Der
Beschluss über die Zustimmung der Gemeinschaft, an die Biodiversitätskonvention
gebunden zu sein, erging 1993 auf der Grundlage von Art. 130 s (heute Art. 175
EGV). Vor der Beschlussfassung des Rates über den Abschluss des Protokolls
beantragte die Kommission beim EuGH ein Gutachten darüber, ob
Art. 133 und Art. 174 Abs. 4 EGV hierfür die geeignete Rechtsgrundlage sei und ob in diesem Fall die mitgliedstaatlichen Kompetenzen lediglich Restzuständigkeiten gegenüber einer überwiegenden Zuständigkeit der Gemeinschaft darstellten.
5.21.3 Rechtliches Problem
1. Gutachten nach Art. 300 Abs. 4 EGV
Kompetenz des EuGH zur Abgabe von Gutachten (auf Antrag des Rats, der Kommission, eines Mitgliedstaates oder des Europäischen Parlaments) über die Vereinbarkeit völkerrechtlicher vertraglicher Abmachungen mit dem primären GemR, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten (präventiver) Zweck: Verhinderung völkerrechtlicher Konflikte der Gemeinschaft durch Vermeidung einer möglichen Divergenz zwischen der innergemeinschaftlichen Legalität und einer durch den Vertragsschluss eintretenden völkerrechtlichen Bindungswirkung (vgl. Art. 46 WVK) zulässig, solange die völkerrechtliche Bindung noch nicht eingetreten ist Parallelität zu den anderen, allgemeinen Rechtsbehelfen gegen Rechtsakte der Gemeinschaft 2. Wahl der Rechtsgrundlage EuGH Gutachten Protokoll von Cartagena Konsequenz des Prinzips der begrenzten Ermächtigung: Rechtsgrundlage entscheidet über Art und Verfahren der Rechtsetzungsbefugnis und damit über den konkreten Umfang der verliehenen Kompetenz zwecks gerichtlicher Nachprüfbarkeit erfolgt die Auswahl nach st. Rspr. auf der Basis objektiv nachvollziehbarer Umstände, die in der Begründung gem. Art. 253 EGV zu nennen sind zwei Rechtsgrundlagen zur Stützung eines mehreren Zwecken dienenden Rechtsaktes: in der Regel unzulässig; stattdessen muss die Rechtsgrundlage der überwiegenden Zielsetzung (des „Schwerpunkts" der Maßnahme) gewählt werden ausdrückliche, ausschließliche Innen- und Außenkompetenz der Gemeinschaft in der „gemeinsamen Handelspolitik" Reichweite des Begriffs „GHP" unklar (jedenfalls grenzüberschreitender Handel mit Waren), daneben nimmt der EuGH zunehmend parallele Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für völkerrechtliche Handelsabkommen an (seit WTO-Gutachten) Umfang der Befugnis aus Art. 133 EGV str., instrumentale <-> finale Theorie finale Theorie: nur Maßnahmen, die auf Beeinflussung der Handelsströme abzielen, von Art. 133 EGV gedeckt instrumentale Theorie: jeglicher Einsatz handelspolitischer Instrumente von Art. 133 EGV gedeckt b) Art. 175 Abs. 1 EGV ausdrückliche (alternativ-)konkurrierende Außenkompetenz zur Verwirklichung der in Art. 174 EGV genannten Ziele
3. Außenkompetenzen
neben ausdrücklichen im Vertrag bestehen implizite/stillschweigende Außenkompetenzen (AETR-Rechtsprechung, Parallelität von Innen- und Außenkompetenz) Ausschließlichkeit der impliziten Außenkompetenzen richtet sich danach, ob bzw. wie die Gemeinschaft intern bereits von ihrer Rechtsetzungsbefugnis Gebrauch gemacht hat - bzgl. solcher Ziele, für die im Innenbereich grundsätzlich alternativ-konkurreierende Kompetenz besteht, also erst bei abschließender Regelung Grundgedanke: Mitgliedstaaten sollen ihre Außenkompetenzen in dem Maße verlieren, in dem deren Ausübung Gemeinschaftsrecht beeinträchtigen kann Fehlen ausschließlicher, d. h. geteilte Außenkompetenz: Abschluss völkerrechtlicher Verträge nur als „gemischte Abkommen"; bei ihrer Durchführung besteht gemeinschaftsrechtliche eine Verpflichtung zur engen Zusammenarbeit Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
-> Schwierigkeiten bei deren Durchführung sind kein Argument zur Begründung
ausschließlicher Außenkompetenz
5.21.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Zulässigkeit
Der EuGH bejaht die Zulässigkeit des Gutachtenantrags der Kommission nur im
Hinblick auf die erste Frage.
a) Diese Frage betreffe das Bestehen einer ausschließlichen Zuständigkeit der
Gemeinschaft nach Art. 133 EG, bei deren Vorliegen ein anderes Vorgehen des Rates als nach Art. 175 I EG gefordert sei. Da die Wahl der geeigneten Rechtsgrundlage wegen des Prinzips der begrenzten Ermächtigung ein wesentliches Wirksamkeitserfordernis für jeden Rechtsakt der Gemeinschaft bildet, bestehe bei Wahl der falschen Rechtsgrundlage für den Zustimmungsbeschluss des Rates die Gefahr völkerrechtlicher Verwicklungen, die durch das Verfahren nach Art. 300 VI EG gerade vermieden werden sollen. b) Die Zulässigkeit der Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten, insbesondere, ob Letzteren lediglich eine „Restzuständigkeit" zukäme, verneint der Gerichtshof dagegen unter Hinweis darauf, das Verfahren nach Art. 300 VI diene nicht dazu, die Schwierigkeiten zu beheben, die mit der Umsetzung eines geplanten Abkommens verbunden seien. Im Übrigen seien die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten „ohnehin" zu einer engen Zusammenarbeit verpflichtet (Grundsatz der geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft). Sachentscheidung Der EuGH wiederholt zunächst, dass sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände wie insbesondere Ziel und Inhalt der Maßnahme gründen muss. Worin diese bestehen oder ob der anstehende Ratsbeschluss über den Abschluss des Protokolls von Cartagena mehrere Komponenten beinhaltet, von denen möglicherweise eine die wesentliche bzw. überwiegende Zielsetzung darstellt, ermittelt er durch Auslegung des Protokolls selbst. Unter Bezugnahme auf Art. 31 WVK fragt er im folgenden nach dessen Zielsetzung, Zusammenhang und Inhalt: In systematischer Hinsicht zieht er insbesondere die Biodiversitätskonvention heran, welche unstreitig zum Umweltschutz gehöre und auf deren Bestimmungen das Protokoll sowohl in den Begründungserwägungen als auch in zahlreichen Bestimmungen ausdrücklich verweist. Auch die Zielsetzung des Protokolls sei umweltpolitischer Natur, was der EuGH anhand des Titels, der Begründungserwägungen fünf bis acht sowie der grundlegenden Verpflichtung in Art. 2 Abs. 2 (Vermeidung von Risiken für die biologische Vielfalt infolge des Umgangs mit lebend veränderten Organismen, LVO) und dem Inhalt des Art. 4 des Protokolls, der Risiken für die menschliche Gesundheit einbezieht, belegt. Der Schluss, der Gegenstand des Protokolls sei Umweltschutz, wird weiter dadurch EuGH Gutachten Protokoll von Cartagena
bestätigt, dass mit dem Protokoll zu schaffenden Kontrollverfahren typische
umweltpolitische Instrumente seien.
Der Umstand, dass ein Schwerpunkt des Protokolls auf der (typischerweise durch
Handel erfolgenden) grenzüberschreitenden Verbringung LVO liege, so dass die
Anwendung des Protokolls zwangsläufig den Handelsverkehr betreffen werde, führe
entgegen dem Einwand der Kommission auch nicht dazu, dass es sich (zumindest
teilweise) um eine Regelung des internationalen Handels handele. Das Protokoll
diene nämlich nicht zur Regelung des Handelsverkehrs und zudem erfasse der
Anwendungsbereich des Protokolls darüber hinaus jede Form des Umgangs mit LVO.
Die Anwendung der handelspolitischen Ermächtigung des Art. 133 EGV aus der
bloßen Erwägung heraus, dass die Zustimmung zum Protokoll Auswirkungen auf den
Handelsverkehr haben könne, würde die spezifischen umweltpolitischen
Bestimmungen des EGV ihrer Bedeutung berauben, obwohl die Ziele
„Handelspolitik" und „Umweltpolitik" in Art. 3 gleichberechtigt nebeneinander
stünden.
Die Schwierigkeiten bei der Durchführung gemischter Abkommen sind für die Wahl
der Rechtsgrundlage irrelevant.
=> Als „wesentliche Zielsetzung oder Komponente" des Protokolls - und damit des
Ratsbeschlusses – sieht er folglich den Schutz der biologischen Vielfalt vor
schädlichen Auswirkung LVO an. Dementsprechend ist Art. 175 Abs. 1 EGV die
geeignete Rechtsgrundlage für den Abschluss des Protokolls im Namen der
Gemeinschaft.
Zum Schluss betont der EuGH noch, dass diese Kompetenz der Gemeinschaft aus
Art. 175 Abs. 1 EGV im Hinblick auf den Abschluss des Cartagena-Protokolls keine
ausschließliche sei, weil dessen Regelungsmaterie nur partiell von
Gemeinschaftsrechtsnormen abgedeckt sei. Damit ergibt sich eine geteilte
Zuständigkeit der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zum Abschluss des
Protokolls.
5.21.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Das Gutachten des EuGH enthält keine wesentlichen Neuerungen, stellt jedoch
seine Haltung zur Außenkompetenz nach Art. 133 EGV klar und begünstigt somit
die um ihre Vertragsabschlußkompetenz, d. h. Souveränität, bangenden
Mitgliedstaaten. Die konkrete Bedeutung des Protokolls von Cartagena ist eher
gering (von 50 zum Inkrafttreten erforderlichen Ratifizierungen liegen erst 15 vor).
a) Die Unzulässigkeit der zweiten Frage ist zwar fragwürdig, weil auch
Schwierigkeiten bei der Umsetzung gemischter Abkommen völkerrechtliche „Verwicklungen" auslösen können. Andererseits verfügt die Gemeinschaftsrechtsordnung für diesen Fall über ausreichende Instrumentarien (z. B. Vertragsverletzungsverfahren), so dass es sinnvoll erscheint, derartige, in weiter Zukunft liegende Fragen nicht auch noch vor Abschluss eines Abkommens zu klären. Deren Inkrafttreten könnte sich durch überfrachtete Gutachtenverfahren nur unnötig in die Länge ziehen. Die Bemerkung, es bestünde ohnehin die Verpflichtung zu enger Zusammenarbeit, geht insoweit fehl, als dies eben nur im Bereich nicht ausschließlicher Kompetenzen gelten kann. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) b) Die Suche nach der geeigneten Rechtsgrundlage erfolgt in sehr anschaulicher und nachvollziehbarer Weise. Allerdings kann die Gefahr nicht übersehen werden, dass mit solch grundlegender, pauschaler Ablehnung des Art. 133 EGV (ohne, auf ihn konkret einzugehen) ein Bedeutungsverlust der gemeinsamen Handelspolitik einhergehen könnte. Die Berücksichtigung umweltpolitischer Ziele bei handelspolitischen Maßnahmen lässt sich schließlich auch über die Querschnittsklausel des Art. 6 EGV begründen, so dass ein wirkliches Umgehen („eines Großteils ihrer Substanz beraubt") der Umweltschutz-Vorschriften des EG-Vertrags eigentlich gar nicht in Frage stand. Die Ausführungen in Rn. 37 ff. legen eine Annäherung des EuGH an die finale Theorie hinsichtlich der Auslegung des Art. 133 EGV nahe; insofern ist jedoch zu bedenken, dass Handelsverkehr oder Handelspolitik so gut wie nie Ziel und Zweck an sich, sondern in der völkerrechtlichen Realität viel häufiger Instrument zur Verwirklichung anderer Ziele sind. Dennoch lässt es der Zusammenhang des Protokolls, seine Entstehungsgeschichte und seine ausdrückliche Zielsetzung durchaus zu, die Rechtsgrundlage des Art. 175 Abs. 1 EGV der des Art. 133 EGV vorzuziehen. c) Interessant ist noch die (nicht beantwortete?) Frage nach der „Restzuständigkeit". Der EuGH ist nach Beantwortung der ersten Frage auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft eingegangen; wohl, um zu betonen, dass jedenfalls noch keine ausschließliche Zuständigkeit besteht und um diese Situation ausdrücklich wieder als „geteilte" Zuständigkeit zu bezeichnen, innerhalb derer er keine konkrete Grenze zieht. Hinsichtlich der Frage, wie sich die Durchführung gemischter Abkommen vollziehen sollte, wen die völkerrechtliche Verantwortlichkeit trifft etc., ist somit trotz des Anstoßes mit der Erwägung von „Restzuständigkeiten" keine weitere Klärung erfolgt.
5.21.6 Literatur/Leitentscheidungen

Hermann, Die EG-Außenkompetenzen im Schnittbereich zwischen internationaler
Umwelt- und Handelspolitik, NVwZ 2002, 1168 ff.
EuGH OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH 5.22 EuGH OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH Jan Witzmann
5.22.1 Entscheidungen mit Fundstelle
EuGH, Urt. v. 2.5.2001 – Rs. C-307/99 – OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH
/Hauptzollamt Hamburg-St. Annen, Slg. 2001 I-3159 (EuZW 2001, 529 ff.)
5.22.2 Sachverhalt
Ausgangssituation ist ein Rechtsstreit zwischen der OGT Fruchthandelsgesellschaft
mbH, einer traditionellen Importeurin von Bananen aus sog. Drittländern5, und dem
Hauptzollamt Hamburg-St. Annen über die Erhebung von Zöllen auf die Einfuhr
von Bananen aus Ecuador. Im Rahmen des Kontingents, das in dem durch die
Verordnung (EG) Nr. 1637/98 geänderten Art. 18 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr.
404/93 vorgesehen ist, importierte die OGT im Januar 1999 Bananen aus Ecuador.
Hierüber hatte das Hauptzollamt unter Anwendung des dort normierten Einfuhrzolls
den von der OGT geschuldeten Zollbetrag per Zollbescheid festgelegt. Nach
Zahlung des Betrages legte die OGT Einspruch gegen diesen Zollbescheid ein und
beantragte zugleich die Aufhebung der sofortigen Vollziehung des Bescheides. Das
Hauptzollamt lehnte den Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung ab, ohne
über den Einspruch selbst zu entscheiden. Die Ast. beantragte daher beim FG
Hamburg, die Vollziehung des streitigen Zollbescheids aufzuheben, bis rechtskräftig
über ihren Einspruch entschieden ist. Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und dem
EuGH gemäß Art. 234 Abs. 1 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt.
5.22.3 Rechtliches Problem
Das FG Hamburg beruft sich auf die von einem Streitentscheidungs-Panel der WTO vom 12.4.1999 getroffene Feststellung der Unvereinbarkeit der revidierten gemeinsamen Marktordnung der EG6 für Bananen mit den Art. I und XIII GATT 1994. Diese zweite Fassung der Bananenmarkt-Ordnung war nötig geworden, da bereits die ursprüngliche Fassung der Verordnung7 durch das ständige Berufungsgremium der WTO als mit dem GATT unvereinbar angesehen worden war. Auf die Entscheidung des Panels zur revidierten Verordnung gründen sich auch die Zweifel des FG Hamburg: Sollte die dem Rechtsstreit zu Grunde liegende (aktuelle) Verordnung wiederum gegen das GATT 1994 verstoßen, möchte es im 5 Im Rahmen der EG-Bananenmarktordnung wird die Einfuhr von Drittlandsbananen, d. h. Bananen die nicht aus den sog. AKP-Staaten stammen, kontingentiert und ein Zoll erhoben. Siehe Art. 16 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1637/98. 6 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1637/98, ABlEG Nr. L 210, S. 28. 7 (EWG) Nr. 404/93, ABlEG 1993 Nr. L 47, S. 1. Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG) Falle eines solchen Verstoßes die Verordnung unangewendet lassen und den Bescheid aufheben. Voraussetzung hierfür ist allerdings die unmittelbare Anwendbarkeit (auch Individualwirksamkeit oder Einklagbarkeit; zur im Schrifttum stark divergierenden Terminologie: von Danwitz, JZ 2001, 721 ff., 722) und ein sich hieraus ergebender Vorrang der Normen des GATT 1994 im Gemeinschaftsrecht. Zu dessen Begründung führt das FG zwei mögliche Lösungen an: Der Vorrang und die Durchgriffswirkung des GATT 1994 sind möglicherweise aus Art. 307 Abs. 1 EGV herleitbar. Voraussetzung hierfür wäre, dass dieses als inhaltlich identisch mit dem GATT 1947 und somit weiterhin als Altvertrag im Sinne von Art. 307 Abs. 1 EGV zu qualifizieren sei. Mit dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens am 1. 1. 1995 könnte eine allgemeine Durchgriffswirkung des GATT 1994 eingetreten sein. Grundsätzlich ist eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft geschlossenen
Abkommens als unmittelbar anwendbar anzusehen, „wenn sie a) unter
Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des
Abkommens
b) eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, c) deren
Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes
abhängen
." (EuGH, Urt. v. 30.9.1987 – Rs. 12/86 – Demirel – Slg. 1987 3747
(3752))
Der EuGH versagte dem GATT 1947 regelmäßig die unmittelbare Anwendbarkeit
unter dem Hinweis auf dessen Geschmeidigkeit und Flexibilität (EuGH, Urt. v.
12.12.1972 – Rs. 21-24/72 – International Fruit - Slg. 1972 1219 (1228)); zudem
verstoße eine solche unmittelbare Anwendbarkeit gegen das Erfordernis des
Gegenseitigkeitsprinzip und beeinträchtige den Verhandlungscharakter des
GATT-Systems (EuGH, Urt. v. 16.3.1983 – Rs. 267-269/81 – Amministrazione delle
finanze dello Stato – Slg. 1983 801 (830)). Auch nach dem Inkrafttreten des WTO-
Übereinkommens und dem diesen u.a. als Anhang beigefügten GATT 1994 änderte
sich die Auffassung des EuGH nicht: Die Übereinkommen enthielten zwar als
wesentliche Neuerung zum GATT 1947 ein verbindliches
Streitbeilegungsverfahren (DSU)
und strengere Schutzregelungen, was die
Annahme einer klaren und eindeutigen Verpflichtung im Sinne der obigen Definition
eigentlich nahe legt. Dem trat der EuGH allerdings mit dem Hinweis entgegen, dass
das Streitbeilegungsverfahren weiterhin mittels politischer Verhandlungen
umgangen werden könne
und folglich nicht hinreichend verbindlich ist (EuGH,
Urt. v. 23.11.1999 – Rs. C-149/96 - Portugal/Rat – Slg. 1999 I-8395 (EuZW 2000,
276) Rn. 36). Zudem weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine unmittelbare
Anwendbarkeit der Normen des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge den
Bewegungsspielraum der Gemeinschaftsorgane bei den Verhandlungen zu
politischen Lösungen erheblich einschränken würde (EuGH a.a.O. Rn. 46). Auch im
Hinblick auf die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Abkommens in
den Rechtsordnungen der wichtigsten Handelspartner der EG, möchte der
EuGH die Position der Gemeinschaft diesen gegenüber nicht schwächen (EuGH
a.a.O. Rn. 43 f.). Normativ sichert der Gerichtshof seinen Standpunkt zu guter letzt
unter Hinweis auf die elfte Begründungserwägung für den Ratsbeschluss
94/800
zum Abschluss des WTO-Übereinkommens ab, welche eine unmittelbare
Anwendbarkeit verneint (EuGH, a.a.O. Rn. 49).
EuGH OGT Fruchthandelsgesellschaft mbH

5.22.4 Kernaussagen/Tendenz der Entscheidung
Tenor:
Die Art. I und XIII Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 1994, das in Anhang 1 A des
Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation enthalten ist, das im Namen der
Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche durch den
Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. 12. 1994 genehmigt wurde, begründen keine Rechte,
auf die sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht unmittelbar berufen kann, um die
Anwendung des Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom
13. 2. 1993 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen i.d.F. der Verordnung (EG)
Nr. 1637/98 des Rates vom 20. 7. 1998 zu verhindern.
Wie der Tenor belegt, sieht sich der EuGH auch beim GATT 1994 nicht dazu
veranlasst, von seiner Rechtsprechungslinie abzuweichen. Dies begründet er unter
Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung zum WTO-Übereinkommen (EuGH
a.a.O.) bzw. zu dem diesen als Anhang beigefügten TRIPS-Abkommen (EuGH, Urt.
v. 14.12.2000 – verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 – Dior – Slg. 2000 I-11307
(EuZW 2001, 117)). Das „WTO-Übereinkommen sowie die in seinen Anhängen
enthaltenen Übereinkünfte und Vereinbarungen [gehören] wegen ihrer Natur und
ihrer Struktur
grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der EuGH gem.
Art. 230 I EG die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst."
Diese können „für den Einzelnen keine Rechte begründen, auf die er sich nach dem
Gemeinschaftsrecht unmittelbar vor den Gerichten berufen könnte."
Weiterhin verneint der EuGH in Rn. 27 das Vorliegen einer Ausnahme von diesen
Grundsätzen, die eine unmittelbare Anwendbarkeit begründen könnte, da die
Gemeinschaft mit der in Rede stehenden Verordnung weder eine bestimmte, im
Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung umgesetzt hat (EuGH, Urt. v.
22.6.1989 – Rs. 70/87 - Fediol/Kommission – Slg. 1989 1781 (EuZW 1990, 64) Rn.
19 ff.) noch diese ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen des GATT
verweist
(EuGH, Urt. v. 7.5.1991 – Rs. 69/89 - Nakajima/Rat - Slg. 1991, I-2069
Rn. 31).
Darüber hinaus erteilt der EuGH in Rn. 29f all denen eine Absage, die eine
unmittelbare Anwendbarkeit des GATT 1994 mit dessen inhaltlicher Identität mit
dem GATT 1947 begründen wollen. Denn selbst wenn Art. 307 I EGV hier
anwendbar wäre, würde dieser Fakt nicht allein genügen, um dem Einzelnen ein
einklagbares Recht zu verleihen.
Erst auf den zweiten Blick wird der besonders apodiktische Charakter der
Entscheidung ersichtlich: Der Gerichtshof wählt die besondere Verfahrensart des
Beschlusses gem. Art. 104 § 3 VerfO EuGH, vermittels derer er sich unter
Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Voraussetzungen mit dem Hinweis auf
eine bestehende Rechtsprechung als Begründung beschränken kann. Aus dieser
Vorgehensweise lässt sich schließen, dass der EuGH seine Rechtsprechung in diesem
Bereich als gefestigt betrachtet.
Neue Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EuGH, EuG)
5.22.5 Konsequenzen für Prüfung und Praxis
Zunächst sollte man sich vor einer Einordnung der Problematik das übliche
Prüfungsschema zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkervertragsrechtlichen
Bestimmung vor Augen führen.
a) Rechtsnatur und Systematik des Abkommens
b) hinreichende Bestimmtheit der zu untersuchenden Norm (klar und eindeutig)
c) Unbedingtheit der aus der Norm erwachsenden Verpflichtung
Die Abkommen im Rahmen der WTO sind laut EuGH im vorliegenden Urteil
bereits unter Prüfungspunkt a) abzulehnen.
Dies ist allerdings nicht der Weisheit letzter Schluss, erscheint doch an dieser Stelle
auch mit Teilen der Literatur eine andere Ansicht vertretbar (von Danwitz, JZ 2001,
721 ff.; Hahn, in: Callies/Ruffert, Art. 133 Rn. 179 ff.): Insbesondere unter Hinweis
auf die Reformierung des Streitschlichtungsverfahrens im Rahmen der WTO
und der damit einhergehenden Einführung einer zweiten Instanz lässt sich dies gut
vertreten. Weiterhin überzeugt die Argumentation des EuGH hinsichtlich der
mangelnden Gegenseitigkeit nicht ohne weiteres: In Verfahren zu
Assoziationsabkommen hat der EuGH die Anforderungen an die Gegenseitigkeit
eher lax interpretiert (besipielhaft EuGH, Urt. v. 26.10.1982 – Rs. 104/81 –
Kupferberg – Slg. 1982 3662 Rn. 18), dies muss bei multilateralen Abkommen erst
recht gelten, da diese aufgrund der hohen Zahl der Vertragspartner nie vollständig
reziprok erfüllt werden können. Darüber hinaus ist eine pauschale Ablehnung der
unmittelbaren Anwendbarkeit aller Verpflichtungen aus einem völkerrechtlichen
Vertrag nicht konsequent, da die einzelne Norm im oben dargestellten
Prüfungsschema im Vordergrund der Untersuchung steht (Hahn in: Callies/Ruffert,
Art. 133 Rn. 180).
Schließt man sich dennoch dem EuGH an, ist allerdings im Anschluss an diese
Feststellung regelmäßig noch das Vorliegen einer Ausnahme zu erörtern, was dann
der Fall ist, wenn
die Gemeinschaft eine GATT-Verpflichtung durch einen besonderen Rechtsakt umgesetzt hat der in Rede stehende Rechtsakt der Gemeinschaft sich ausdrücklich auf eine GATT-Norm stützt
5.22.6 Literatur/Leitentscheidungen
von Danwitz, Der EuGH und das Wirtschaftsvölkerrecht – ein Lehrstück zwischen
Europarecht und Politik, JZ 2001, 721 ff. (äußerst kritisch und i.E. eine indirekte
Anwendbarkeit des WTO-Rechts fordernd); Hahn, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV,
2. Auflage, 2001, Art. 133 Rn. 146 ff. (kurze Darstellung der Entwicklung hin zur
WTO); Rn. 162 ff. (Rechtsprechungsentwicklung zur unmittelbaren Anwendbarkeit
des GATT/des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge); Schmalenbach, in:
Callies/Ruffert, s.o., Art. 300 Rn. 59 ff. (generell zur unmittelbaren Anwendbarkeit);
Tomuschat in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, 5. Auflage, 1997, Art. 228
Rn. 56 ff.
Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.

Source: http://www.whi-berlin.de/documents/neuersprg.pdf

Microsoft word - 7.14.06 wegman report fact sheet.doc

Chairman, R-Texas Report Raises New Questions About Climate Change Assessments ‘It is important to note the isolation of the paleoclimate community; even though they rely heavily on statistical methods they do not seem to be interacting with the statistical community. Additionally, we judge that the sharing of research materials, data and results was haphazardly and grudgingly done. In this case we judge that there was too much reliance on peer review, which was not necessarily independent. Moreover, the work has been sufficiently politicized that this community can hardly reassess their public positions without losing credibility. Overall, our committee believes that Dr. Mann's assessments that the decade of the 1990s was the hottest decade of the millennium and that 1998 was the hottest year of the millennium cannot be supported by his analysis.'

Q90texte.doc

Table des matières PATHOLOGIE RHINO-SINUSIENNE AIGUË .2 Rhinites aiguës.2 Sinusites aiguës .2 L'ethmoïdite aiguë de l'enfant .5 PATHOLOGIE RHINO-SINUSIENNE CHRONIQUE.7 Classification des pathologies rhinosinusiennes chroniques .7 Diagnostic de rhinosinusites chronique .7 Les sinusites antérieures de la face.7 Les pan-sinusites bilatérales et symétriques .8